Warum Andreas Klöden in seinem Twitter Feed regelmässig seinen „Unmut“ über die Berichterstattung der ARD und ZDF äußert und sich, fünf Jahre nach Ulle’s Karriereende noch immer nicht zu Interviews mit deutschen Medien bereiterklärt, kann nur er selbst beantworten. Natürlich tragen die Öffentlich-rechtlichen eine Mitschuld daran, dass man manchmal die Tatsache verschweigt, man könne sich in einem ungesunden Maß für Radsport begeistern und dass man trotzdem noch heimlich Ulle Fan ist – aber ich bin nicht desillusioniert: es waren immer noch die Dopingfälle, welche die negative Berichterstattung erst ausgelöst haben. Neuere Enthüllungen, wie im Verfahren gegen Lance Armstrong, sind in meinen Augen jedoch nicht der Beweis dafür, dass der Sport korrupt und verlogen ist, sondern dass es voran geht.
Der Rückzug der Öffentlich-rechtlichen war eine logische Konsequenz in diesem Land, mit dieser Grundstimmung dem Thema gegenüber, aber sie fügt diesem komplexen Sport noch mehr schaden zu, was sich in der aktuellen, viel zu knappen Berichterstattung zeigt. Der Ruf des Radsports in Deutschland wurde vor einiger Zeit zu Grabe getragen aber die ZDF ist dennoch fleissig dabei, Erde nachzuschaufeln; zum Beispiel das ZDF mit dem Beitrag: „Und jährlich grüßt der Dopingfall„.
Der Sachverhalt
Das Hotel der Mannschaft Cofidis wurde am Dienstag durchsucht und deren Fahrer Rémy Di Grégorio, sowie zwei weitere Teamangehörige verhaftet. Es ging, so der aktuelle Stand, um den geplanten Kauf von verbotenen Substanzen. Die Ermittlungen laufen bereits seit einem Jahr und begannen daher bereits, als Di Grègorio noch für das Team Astana fuhr. Cofidis war schon in den Jahren 2004 und 2007 in Dopingfälle involviert – warum es das Team noch immer gibt, kann sich niemand so genau erklären, normalerweise mangelt es solchen Teams schnell an Sponsoren. Das Teammanagement suspendierte Di Grégorio und entschied sich dafür, die Tour de France mit seinem Team weiter zu bestreiten. Was bei Cofidis schief läuft, erklärt im Grunde gleich ein anderer Bericht des ZDF in der „Doping Watch“ – Rubrik des Heute Journals, mit einem Interview mit Michael Holczer (eigenartigerweise unterlegt mit einem Foto von Tony Martin).
Michael Holczer war Teammanager beim Team Gerolsteiner und ist heute für das russische Team Katjuscha verantwortlich, bei dem es im April diesen Jahres zu einen positiven Dopingfall kam – Denis Galimzyanov’s A-Probe war positiv auf EPO getestet worden. Holczer behauptet in dem Interview, sein Team könne Doping nicht verhindern: „wir können es nicht weg-kontrollieren“ und „wir müssen damit leben lernen, was nicht heissen soll, dass man dieses Thema akzeptieren muss“. Leider ist diese Auffassung, das Management hätte keinen Einfluss auf die Fahrer, im Radsportmanagement noch immer populär und ist die weitverbreitete billige Ausrede, falls mal etwas schief läuft. Der einfache Ausweg, einzelnen Fahrern die Schuld zuzuweisen, führt dazu, dass es innerhalb mancher Teams keine internen Kontrollen oder Vorkehrungen stattfinden (neben den von der UCI oder Wada vorgeschriebenen), ausser den obligatorischen Anti-Doping Statuten, welche sich jedes Team mittlwerweile von seinen Fahrern unterzeichnen lässt. Die Unterschrift hilft dem Team ausserdem, im Falle eines positiven Tests den Fahrer schneller loszuwerden. Im Fall Cofidis wurden neben Rèmi Di Grègorio auch zwei weitere Teammitglieder verhaftet, was, ohne Mutmaßungen anstellen zu wollen, über die Planung eines einzelnen Fahrers, sich Mittel zu bestellen, herausgehen könnte. Der Bericht des ZDF beginnt mit einem polemischen Unterton; das verbleibende Team tue so, als seien die Verhaftungen gar nicht passiert. Natürlich zieht sich so ein Management nicht aus der Tour zurück, dies würde einem Schuldeingeständis gleichkommen. Daher „machen sie sich also auf den Weg in die Alpen, die Fahrer von Cofidis, als ob gestern nichts gewesen wäre“ – die einzelnen Fahrer im Team Cofidis sollten als Letztes von der Erfahrung beraubt werden, bei der Tour mitzumachen, nur weil das Management es nicht schafft, ihre Fahrer vor Doping zu bewahren. Es sei denn man sagt „die sind eh alle gedopt“, was der Bericht klar suggeriert.
Es gibt jedoch auch andere Wege, als bei einem positiven Test den Fahrer zu suspendieren und auf einen Einzelfall zu verweisen: Wenn ein Team es schafft, den Fahrer durch deren Mantra und innere Absicherungen (glaubwürdige Ärzte, gehaltene Versprechen, realistische Erwartungen) schützt und ihn dazu auffordert, auf das zu vertrauen, was der eigene Körper ihm gibt, ist der halbe Weg aus dem „Dopingsumpf im Radsport“ schon gefunden. Man kann in einem Team den Fahrer wertschätzen und dafür Sorgen, dass dieser sich in dem Team sicher und mit ihm verbunden fühlt. Dann könnte sich der von geständigen Dopern geschilderte innere und äußere Druck, Ergebnisse abzuliefern, welcher dazu führt, dass Fahrer zu verbotenen Mitteln greifen, die einen Leistungsanstieg versprechen, gar nicht erst aufbauen. Ein Fahrer, der loyal zum gelebten Teamideal bleibt, wird dieses nicht hinter seinem Rücken betrügen und ins offene Messer laufen lassen, das müsste Holczer eigentlich wissen. Natürlich wird es immer leichtsinnige und „risikobereite“ Fahrer (und Ärzte) geben, welche sich der Gefahr einer Verurteilung aussetzen – aber diese oft leicht zu erkennenden, schlechten Charaktere dürfen bei der genauen Suche nach Talenten nicht in Erwägung gezogen, geschweige denn verpflichtet werden. Sie schaden dem Sport mehr, als deren voraussagbar guten Ergebnisse ihm nutzen.
Der Deal
Besonders enttäuschend und eigenartig Verdreht wirkt in dem ZDF Bericht zudem das Kommentar zu den Aussagen ehemaliger Teamkollegen von Lance Armstrong. David Zabriskie, Jonathan Vaughters, Christian Vande Velde, Levi Leipheimer und George Hincapie sagten im Fall USADA gegen Armstrong und Johan Bruyneel als Kronzeugen aus und, dies lässt der Report leider unter den Tisch fallen, halfen somit der USADA dabei, systematisches Doping im Team US Postal, Discovery und später bei Astana und Radioshack aufzuklären. Ein mutiger Schritt, wenn man bedenkt, dass Lance ausgefeilte und jahrelang erprobte Mobbingtechniken beherrscht.
„Nach mehreren Zeitungsberichten“ sollen Zabriskie, Leipheimer, Vande Velde und Vaughters eine sechsmonatige Sperre verhängt bekommen haben, beginnend zum Ende der Saison. Tatsächlich schrieb nur eine Zeitung über „einen Deal“ mit der USADA, in dem die Rede von Geständnissen und Aussagen im Tausch mit einer verzögerten Sperre war, um die Fahrer noch bei späteren Rennen (z.B. die Vuelta) starten zu lassen. Die niederländische Tageszeitung „De Telegraaf“, welche exklusiv darüber berichtete und „etablierte Quellen“ angibt, verzettelt sich jedoch in ihrem Artikel selbst in Ungenauigkeiten und subjektiven Formulierungen wie: „wie durch ein Wunder hatte die USADA angeordnet, die Sperre zum Ende der Saison zu verhängen“. Zwielichtig erscheint ausserdem, dass Johan Bruyneel eine Kolumne für den „Telegraaf“ schreibt. Wer wäre in diesem Fall der Nutzniesser bei der Veröffentlichung der Namen?
Die Fahrer selbst wollen, so wie im Bericht angedeutet: „Gegenüber der ZDF (…) diese Vorwürfe zwar nicht wiederholen, korrigieren diese aber auch nicht.“ Fakt ist jedoch, dass das Team BMC, für welches George Hincapie fährt, „keine Information von den Behörden über dieses Thema erhalten“ hatte und auch Jonathan Vaughters, selbst vorgeladen und als Teammanager von Garmin-Sharp mit seinen Fahrern Zabriskie und Vande Velde vor Gericht erschienen, die Sperre als „definitiv unwahr“ bezeichnete. Das allgemeine Statement von Garmin-Sharp zum Thema Aussagen vor Gericht im Zusammenhang mit Dopingfällen, war bereits seit zwei Jahren online und bezog sich damals noch auf die Untersuchungen zum Fall Floyd Landis:
Wir können nicht ändern, was in der Vergangenheit passiert ist. Aber wir glauben es ist Zeit für Transparenz. Wir erwarten von jedem Mitglied unserer Organisation, welches von Radsport-, Anti-Doping- oder Polizeibehörden kontaktiert wird, einen offenen und ehrlichen Umgang mit diesen Behörden. In diesem Zusammenhang erwarten wir nichts weniger als die 100%ige Wahrheit – welche diese auch sein mag – auf die gestellten Fragen
Hätte sich der Autor etwas Mühe gegeben und die zahlreichen, objektiven Berichte zu diesem Thema gelesen (welche jedoch zugegebenermaßen selten auf Deutsch erscheinen) oder sich mit neuen Medien wie Twitter auseinandergesetzt, wäre er schnell auf die, zwar nicht von den Fahrern wiederholten (das wird sich genauer im Armstrong-Verfahren auflösen), aber korrigierten Informationen gestoßen.
Zum Ende des Berichts wird George Hincapie das ZDF Mikro unter die Nase gehalten und passend zur Grundstimmung des Beitrages gefragt: „What do you think, will it be difficult for Lance Armstrong? (übersetzt mit „Wird’s eng für Armstrong?“) – „I don’t know, I mean you gotta ask him that.“ („Weiss ich nicht, das müssen Sie ihn selber fragen.“). Der Reporter stellt diese Frage und weiss, dass sie entweder gar nicht, oder ungenau beantwortet wird. Er macht es, um von seinem Gegenüber eine Reaktion herauszufordern, um dem Beitrag etwas Reibungspotential zu geben.
Ich frage mich: Warum berichtet der Autor, Hermann Valkyser, von der Tour de France, wenn er nur die losesten Informationen mitnimmt, daraus ein Beitrag fertigt und seine Auffassung von einem durch und durch verlogenen Sport zur besten Sendezeit nach Deutschland schickt?
Ich würde ihm, etwas pathetisch formuliert, gerne erklären, wie viele treue Fans diesen Sport mittlerweile sehen: Es ist ein verworrenes System, durchzogen von alten Managern und Beihelfern, die entweder lügen oder schweigen. Aber es gibt auch Enthusiasten und unverbrauchte Talente, die zwar auf alte Zeiten zurückblicken, aber nur, um daraus zu lernen. Es ist auch ein schöner Sport und es ist nicht einfach, ein Radsportfan in Deutschland zu sein.
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