Über eine eventuelle Rückkehr von ARD & ZDF zur Tour de France

oeffentlrechtl_2014Seit der Tour de France 2011 und der Auflösung der deutschen Teams T-Mobile, Gerolsteiner und Milram hat kein öffentlich-rechlichen Sender mehr von der Tour de France berichtet. Nun interessieren sich das Fernsehen vermehrt für die sympathischen neuen deutschen Radsportprofis und es gibt Gerüchte über ein Comeback. Was würde eine Rückkehr der größten deutschen Sender für den Sport bedeuten, ist das Interesse überhaupt noch vorhanden und wie sollten ARD und ZDF das Programm im Sinne der Fans gestalten?

Die Aufmerksamkeit wurde hart erarbeitet

Nicht nur die Etappensiege und Gesamterfolge deutscher Profis und Teams bei der letzten Tour de France zeigen, dass sich Radsport in Deutschland hervorragend vermarkten lassen könnte. Marcel Kittel, Andre Greipel und Tony Martin gewannen zusammen sieben Etappen, das deutsche Team NetApp-Endura stand durch eine Wildcard-Einladung als erstes deutsches Team seit 2010 am Start, deren Fahrer Leopold König, ein Tscheche, schaffte es sogar auf den siebten Rang der Gesamtwertung.

Auch wenn Ulle’s Karriereende bereits sieben Jahre zurückliegt, entspricht sein magentafarbenes Team das erste Bild in den Köpfen der Deutschen beim Stichwort Profiradsport. Seitdem hat jedoch eine neue Generation längst den Großteil der „Helden“ abgelöst. Auch finden, mit argwöhnisch betrachteten Ausnahmen, immer weniger Ex-Doper den Weg zurück in den Sport über Management- und Leiterrollen. Die heutigen, jungen Talente verdanken ihre Erfolge auch dem Abgang einer verlorenen Generation, sie konnten sich über die vielen Unkenrufe hinweg behaupten und haben es verdient, sich Gehör zu verschaffen.

  • Der Jedermann-Boom als Vermarktungsinstrument

Die Deutschen stehen dem Radsport durchaus aufgeschlossen gegenüber, zumindest wenn es um den Jedermannsport geht. Insgesamt 4000, meist ausgebuchte Startplätze gibt es beim wohl härtesten Jedermannrennen in Österreich, dem Ötztaler Marathon durch das Ötztal und das Tiroler Mittelgebirge. Über 20.000 Anmeldungen erreicht das größte deutsche Jedermann-Event, die Vattenfall Cyclasics in Hamburg. Deutschland ist für Sponsoren ein unheimlich wichtiger Markt, der jedoch durch die vielen Skandale und das geringe Medieninteresse kaum erschlossen werden kann.

Einerseits kann man nicht automatisch vom Erfolg des Jedermannsports auf ein potentiell hohes Interesse am Profiradsport schließen, abwegig ist es dennoch nicht. Der Radsportboom in Deutschland wurde von Jan Ullrich ausgelöst, unter völlig neutralen Gesichtspunkten kann auch ein Jedermann-Boom ein Interesse am Profiradsport wecken.

  • Ein ziemlich deutsches Problem

ZDF_Tour2011In der Neutralität liegt jedoch das Grundproblem: der Profiradsport in Deutschland ist wie in keinem anderen Land so mit negativer Aufmerksamkeit belegt, die Deutschen sind ausgesprochen nachtragend und begegnen dem Sport voreingenommen und in vielen Foren und Kommentarspalten mit blankem Hohn. Ehemalige Fans ziehen über den Radsport her, als hätte Jan Ullrich ihnen persönlich ans Bein gepinkelt.

Dazu kommt, dass wenn etablierte deutsche Medien schon vom Radsport berichten, oft ein zynischen, flapsigen Unterton und eine nachlässige Recherche dazukommt. Der Fokus liegt dabei auf den „schwierigen“ Teams und vernachlässigt dabei, was im Großen und Ganzen drumherum eigentlich passiert. Während britische Medien von aufstrebenden, jungen Franzosen berichten, die bei der Tour 2014 die Plätze zwei und drei belegten, lässt sich die Süddeutsche Zeitung lieber über Alexandre Vinokurov und seinem Siegerteam Astana aus. Das ist kein investigativer Journalismus, das ist rückständig, kleingeistig und am Interesse der Öffentlichkeit vorbeigeschrieben. Und ja: ich bin sauer.

Wer heute Radsportfan ist, dem wird Naivität vorgeworfen, denn der Profiradsport dient noch immer als Aushängeschild für Doping in Ausdauersportarten. Wenn ein Fussball-Physiotherapeut wie Sven Rinke (1. FC Köln) zu Doping gefragt wird, antwortet er „Nutzen würde es bei der Regeneration und teilweise bei der Ausdauer. Aber Fußball ist nicht Radsport – da reichen auch viel Schlaf und ein guter Lebenswandel, um fit zu sein.“ Fußball ist natürlich nicht Radsport, aber im Radsport kann, anders als im Fußball, unverhältnismässiger Kortison- und Schmerzmittelgebrauch auch eine vierjährige Sperre mit sich ziehen.

Aber das Gejammer über die Reputation des Sports im Vergleich zu anderen Sportarten hilft nichts – es geht schließlich darum, die Einzigartigkeit des Radsports herauszustellen. Dazu gehören auch die zahlreichen Kontrollen und im Radsport vorhandenen Alarmmechanismen wie der Blutpass oder grundlegende Einschränkungen durch die No-Needle-Policy.

  • Doping nervt

Auch Lance’s Geständnis ist schon zwei Jahre her. Selbst neue Enthüllungen um Fahrer in zwielichtigen Teams verwundern Fans nicht – weil die meisten wissen und darauf vertrauen, dass es heute auch anders geht. Man könnte es auch mit jahrelang antrainiertem Zynismus erklären, aber die Tatsache, dass die Kontrollen funktionieren und noch immer positiv getestet wird, nimmt einem das flaue Gefühl beim Blick auf die Ergebnislisten.

Man kann ein Team mit einem klaren, sauberen Standpunkt auf die Beine stellen, welches dann die Giro d’Italia gewinnt, so gesehen bei Team Garmin-Sharp. Auch führen technische Neuerungen, viele viele Sponsorengelder und taktische Langweile zwei Jahre in Folge zum Sieg bei der Tour de France, wie bei Team Sky gesehen. Und wenn Lance den Fahrern eins gelehrt hat, ist dass sich Doping sich auf langer Sicht nicht lohnt – irgenwann kommt es zurück und beisst einem in den Hintern.

  • Näher an die Fahrer

MarcelKittel_ZDFInterviewDer Sender Eurosport verdient viel Respekt und unendlichen Dank dafür, dass er dem Radsport in diesem Ausmaß treu geblieben sind. Trotzdem gibt es noch so viel Potential, welches der Sender in der deutschen Fassung verpasst. Viele Fahrer äußern sich ohne PR-Einfluss des Teams frei auf Sozialen Medien wie Twitter und dies umfasst nicht nur lustige Einblicke von der Massagebank. Zwar halten sich die deutschen Profis in den Sozialen Medien eher zurück, geben sie dennoch aufschlussreiche Interviews und Kommentrare in Kanälen abseits von den großen Radsport-Printmedien.

Mittlerweile unterhalten die Videos der Teams nach dem Rennen fast mehr, als die eigentliche Live-Übertragung. Dabei zeigen uns der Erfolg der Teaminternen Videos, wie sehr Fans an einer näheren Berichterstattung interessiert sind. Und das ist sogar physisch gemeint: Livebilder vom Rennrad aus sind derzeit wohl technisch noch nicht möglich, aber die wohl spannendste Innovation der letzten Jahre. Eine Wiederholung des Sprints der Etappe des Vortages aus sich der Fahrer wäre dennoch ein großer Mehrwert für den Zuschauer.

Kommentatoren können stundenlange Übertragungen von Flachetappen nicht nur durch den Hinweis auf das architektonisch schöne Rathaus der nächsten Stadt aufpeppen – wie es den Fahrern geht, erfahren sie meist aus erster Hand, wenn sie nur mal hingehen und fragen. In kaum einer Sportart sind die Athleten zugänglicher und weniger abgeschottet als im Radsport. Anders als in anderen, PR-getrimmten Sportarten verschonen einem die meisten Radsportler zudem mit Floskeln, wenn man sie nicht gerade direkt nach Alpe d’Huez fragt, wie sich die Beine anfühlen.

Es stellt sich die Frage: wen verpflichten ARD und ZDF als Fachmänner? Wer sich ausgiebig mit dem heutigen Sport beschäftigt, kann die alten Gesichter einfach nicht mehr sehen. So unterhaltsam „Höllentour“ auch war, Erik Zabel als Fachmann vor die Kamera oder vors Kommentatorenmikro zu holen wäre ein enormer Rückschritt und das absolut falsche Signal. Es würde so aussehen, als ob im Profiradsport alles beim alten geblieben ist und die Radsportberichterstattung die „Goldene Ära“ glorifiziert. Ete hat dennoch immer ein Platz in unserem Herzen. Es sei denn er hat noch ein Geständnis vom Geständnis-Geständnis zu machen.

  • Hintergründe und Skurilles

Als langjähriger Fan verliert man schnell aus den Augen, dass viele Dinge für Neulinge interessant sein können, über die man sich selbst längst keinen Gedanken mehr macht. Nicht selten hört man von weniger Radsport-affinen Leuten die Frage, mit wie vielen Gängen die Fahrer eigentlich die Berge hochfahren oder wie man am Rennrad überhaupt schaltet. Auch scheint das Rätsel, wie man als Profi unterwegs die Blase entleert (nicht ohne Grund ist dieser Artikel der beliebteste dieser Website), eine unerklärliche Faszination auf den deutschen Fan auszuüben.

Aber auch Fragen darüber, wie viel die Sportler eigentlich essen und am Ende der Etappe wieder an Kalorien verbrannt haben kommen immer wieder auf und heben hervor, was die Fahrer während einer Rundfahrt eigentlich leisten.

  • Vom deutschen Blick abweichen

Es ist schön zu sehen, dass die deutschen Fahrer vermehrt in die Öffentlichkeit treten und vermehrt weniger doofe Fragen beantworten müssen. Die heutige Generation an Fahrern ist eloquent im Umgang mit den Medien und definitiv nicht auf den Kopf gefallen. Zudem kann sich heute keiner mehr leisten kein Wort Englisch zu sprechen (so wie damals Ulle), denn in den ausländischen Medien genießen deutschen „Stars“ große Sympathien.

Die Fahrer kommen aus internationalen Teams und die Teamstruktur im Profiradsport ist zu komplex, um sich auf eine Fahrergruppe zu versteifen. Durch unsichere Sponsorengelder wechseln viele Teamnamen zudem regelmäßig und die Fahrer relativ häufig das Team.

Ein Fokus auf eine kleine Anzahl deutscher Fahrer oder auf ein bestimmtes Team weckt Erwartungshaltungen bei den Zuschauern und baut unnötigen, öffentlichen Druck auf. Jan Ullrich war nie ein Held und auch Jens Voigt fährt nur sehr gerne sein Rennrad. Es muss also ein gesunder Mittelweg zwischen Telekom-Hype und Fanpflege gefunden werden.

Trotzdem: der Weg, neue Fans vom Radsport zu begeistern, führt über die Fahrer. Wenn der potentielle Fan eine Sympathie für einen Sportler entwickelt, setzt er sich gerne mehrere Stunden vor den Fernseher, um ein Rennen zu verfolgen. Dieser Sportler muss nicht unbedingt Deutsch sprechen, um ihn für das deutsche Publikum interessant darzustellen.

Wieso ein Wiedereinstieg wichtig ist

Radsport finanziert sich ausschließlich aus Sponsorengeldern, es gibt kein Geld aus Ticketverkäufen oder Übertragungsrechten. Wenn die Sponsoren also ein großes Publikum erreichen, lohnt ein Investment in den Sport um so mehr. Ein geringeres Gefälle zwischen den Gehältern baut Druck ab, kann (!) zur Fairness des Sports beitragen und tut der gesamten Radsportbranche gut. Radsportfans zeigen sich dankbar: Umfragen haben ergeben, dass immerhin 38% der Radsportfans eher ein bekanntes Sponsoringprodukt kaufen, als ein gleichwertiges Produkt, dessen Namen nicht im Peloton zu sehen ist.

Es ist an der Zeit, dass die großen deutschen Sender wieder über das größte jährliche Sportevent der Welt berichten. Profiradsport ist schöner und sympathischer als noch vor vielen Jahren, gibt ihm eine zweite Chance. Schließlich habt ihr Andrea Kiewel auch eine gegeben.