Rückblick: Paris-Roubaix 2012

Wer den Ostersonntag mit der Familie verbringen ‚musste‘ oder aus anderen Gründen den wohl wichtigsten Frühjahrsklassiker der Saison verpasst hat, kann hier nachlesen, wie und warum Tom Boonen schon wieder gewonnen hat, aber auch zu Recht.


Die Medienberichterstattung in Deutschland war erfrischend umfangreich: Eurosport hatte ab 13h bis zum Ende um 16:13h das Rennen inklusive Siegerehrung live übertragen, womit wir den Briten einiges Vorraus hatten. Diese verpassten durch eine spätere Übertragung den Wald von Arenberg und somit die Stürze direkt bei der Einfahrt. Jedoch gab es, ausser einen spektakulären Sturz eines NetApp-Fahrers eben dort auch glücklicherweise keine nennenswerten Ausfälle. Thor Hushovd stürzte, wie jedes Jahr eigentlich. Auch Chavanel war wieder ein mal von Pleiten, Pech und Pannen gebeutelt. Das Peloton hämmerte in den ersten zwei Stunden einen Tempodurchschnitt von 46km/h, 24 Fahrer fuhren das Rennen unter 6 Stunden, einer magischen Grenze und in dieser Anzahl unerreicht. Dies war die schnellste Ausgabe von Paris-Roubaix seit 1964. Am Ende fuhren 86 von 248 Fahrern ins Ziel, der Rest stieg entweder aus oder befand sich unter dem Zeitlimit.

Glücklickerweise bekam, ausser auf Twitter und wahrscheinlich im amerikanischen Fernsehen, niemand etwas von dem Besuch des berühmten Triathleten Lance Armstrong mit, welcher sein ehemaliges Team Radioshack-Nissan vor dem Start besuchte und erfolgreich davon ablenkte, dass ihn im Grunde die Tradition von Paris-Roubaix und der Frühjahrsklassiker nie interessiert hatte. Eigentlich erinnerte seine Anwesenheit nur alle daran, was für ein Downgrade der scharlachrote Buchstabe seit der Fusion auf Fränk & Andys Brust bedeutet…

Zurück zum Rennen: der Weg nach Roubaix war steinig, staubig und und verdammt anstrengend. Nicht nur das überdurchschnittlich schnelle Gebolze am Anfang des Rennens machte den Fahrern zu schaffen, den meisten lag noch die Flandern-Rundfahrt von letztem Sonntag in den Beinen. Eine Wasserflasche erledigte an dem Tag in Belgien das, was die Steine richtung Roubaix in den Vorjahren nicht schafften: Fabian Cancellara fehlte mit einem 4-fach gebrochenen Schlüsselbein und fuhr bei uns nur im Gedanken mit. Was hätte Fabu anrichten können, wenn er dabei gewesen wäre? Er hätte Tom Boonens Attacke auf den letzten 53 Kilometern eigenhändig zunichte gemacht, dabei wahrscheinlich noch die vier Fahrer von Sky mitgezogen, welche es beim besten Willen nicht schafften, Boonen’s Vorsprung von erst 30 Sekunden, dann einer Minute wieder reinzuholen. Dabei hätten es alle von vornherein wissen müssen: Boonen hatte keine Handschuhe an, auch das Lenkerband liess er nur in einer Schicht verlegen. So ein harter Hund!
Paris-Roubaix Cancellara-Style (dieser tat es nämlich auf die selbe Weise im Jahr 2010) und das auch noch unter 6 Stunden zu gewinnen gebührt Respekt. Tommeke ist mit Abstand derzeit der beste Fahrer auf schwierigem Terrain.

Es begann damit, dass Tom Boonen sich nach 200 gefahrenen Kilometern, beim 12. von 27 Pavé Sektoren, dazu entschied zu attackieren. Von den Eurosport Kommentatoren wurde diese Aktion kurz verlacht aber später gelobt. Die erste Gruppe, darunter ein weiterer Omega-Pharma Quick-Step (OPQS) Kollege, Sylvain Chavanel, sowie Sebastien Turgot von Europcar (von mir vorher noch ‚Tourgot‘ bezeichnet – dabei gibt es nur einen Tourgott und der heisst Jan Ullrich) wurde geradezu überrollt. Nur Alessandro Ballan und Pippo Pozzatto gingen zuerst mit, werden von Boonen jedoch, im Gegensatz zu letzter Woche, abgehängt wie zwei Rentner auf E-Bikes  (in diesem Moment hätte ihnen nicht einmal Cancellaras berühmtes E-Bike von 2010 geholfen.) Das in der Presse viel besprochene Problem, wer bei Omega-Pharma im Falle eines Falles zum Sieg fährt und wer wen in der selben Gruppe helfen würde, Boonen oder Chavanel, hatte sich durch einen Defekt von Letzterem von selbst gelöst.

Hier hängt Tom Boonen gerade seinen Teamkollegen ab.

Niki Terpstra wurde eilig, in einer Panikreaktion von Team OPQS, hinterher geschickt, um Tom Windschatten zu spenden. Doch selbst der ehemalige niederländische Meister sah sich mit schmerzverzerrtem Gesicht der Übermacht Boonen ausgesetzt und musste sich nach überraschend kurzer Zeit, völlig alle zurückfallen lassen. Tornado Tom gibt ab sofort alleine Stulle, sein Vorsprung wächst.
Dass Sky es zu viert in einer 16-köpfigen Gruppe, darunter befanden sich unter Anderem der Vorjahressieger Johan VanSummeren sowie Lars Boom, Edvald Boasson-Hagen und Juan Antonio Flecha, nicht hinbekam, Tommeke einzuholen, spricht entweder für ein schwaches Team oder einen überdurchschnittlich fitten Tom Boonen. Auf den letzten 20 Kilometern fing Tommeke sichtbar an zu leiden, rettete seinen zweitweiligen Vorsprung von 1:30min jedoch sicher ins Ziel. Die weisse Linie (no pun intended) im Velodrom von Roubaix überquerte er nach 258km zum vierten Mal als Erster und zieht somit mit der Anzahl der Siege mit Roger de Vlaminck gleich. Dieser zeigte sich im Nachhinein unbeeindruckt von Tommekes Allmacht und schob einem taktisch und körperlich schwachem Restpeloton die Schuld zu. Er hofft ausserdem, dass Fabian Cancellara das nächste Jahr wieder dabei ist.

Sebastien Turgot sprintete, dank Franzosenbonus bei der Auswertung beim Photofinish, zum zweiten Platz. Er ist somit der bestplatzierte Franzose bei Paris-Roubaix seit 1997. Alessandro Ballan schien, wie bei der Flandern-Rundfahrt, sehr happy über seinen dritten Platz zu sein. Tommeke setzt sich derweil ein neues Ziel: den Sieg beim Amstel Gold Race am nächsten Sonntag.

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