Rückblick: Die erste Woche der Giro d’Italia 2012

Die erste große Rundfahrt in diesem Jahr läuft nun bereits seit einer Woche. Fast tägliche Updates bekommt ihr bei uns übrigens auf Facebook, hier ein Rückblick zur ersten, spannenden Giro-Woche in gesammelter Form:

05. Mai 2012 – 1. Etappe – Einzelzeitfahren in Herning

Alex Rasmussen bei der ersten Etappe der Giro 2012 – Foto: Roberto Bettini

Die Giro startete dieses Jahr in Dänemark, wo die Fahrer genau so wie in Deutschland, kaltes, regnerisches und allgemein eher ungemütliches Wetter erwartete. Zu den Favoriten bei diesem Einzelzeitfahren quer durch Herning, zählten unter Anderem zwei junge Spezialisten in dieser Disziplin: Geraint Thomas aus dem Team Sky und BMC’s Taylor Phinney, beide mit der Chance, am Ende des Tages das Maglia Rosa überzustreifen.

Die 8,7km bewältigten alle Fahrer in durchschnittlich 11 Minuten. Die Strecke war relativ flach und die für diese Region üblichen, starken Winde blieben aus Als 35. gestartet, führte Ramunas Navardauskas vom Team Garmin-Barracuda die Wertung mit 10:48min lange Zeit an und wurde erst nach 144 weiteren Starts überholt. Er wurde am Ende 6, unter Anderem hinter von seinem Teamkollegen Alex Rasmussen, welcher, motiviert durch den Tourstart in seinem Heimatland und trotz seiner eher kräftigen Statur, Dritter wurde.

Geraint Thomas startete als 180. und fuhr mit einer Zeit von 10:35 Minuten ins Ziel. Als Taylor Phinney um 18:47 Uhr als Vorletzter die Startrampe verliess und 10:26 Minuten später Geraint Thomas‘ Zeit um 9 Sekunden schlug, ging für ihn ein Traum in Erfüllung. Ursprünglich aus Boulder, Colorado, wohnt der 21-jährige Phinney mittlerweile in Norditalien, spricht fließend Italienisch ist bei den heimischen Mädchen unter Anderem wegen seinen „boyish good looks“ und seiner Körpergröße von 1,97m, äusserst beliebt. Das rosa Trikot wollte er bis zur Reise nach Italien am 08. Mai behalten.

06. Mai 2012 – 2. Etappe – Flachetappe durch Herning

Taylor Phinney in Rosa

Über 206 Kilometer führte die zweite Etappe der Giro durch das Mitteljütland Dänemarks und wieder zurück nach Herning. Allgemein ist nicht viel passiert; acht Kilometer vor dem Ziel gab es jedoch einen kurzen Schreckmoment, als Taylor Phinney einen anderen Fahrer streifte und seine Kette sich verabschiedete; 30 endlose Sekunden und einen Radwechsel später, wurde der Träger des rosa Trikots mit Hilfe von seinen Teamkollegen und viel, viel Adrenalin im Blut, wieder an die Hauptgruppe herangefahren. Er blieb dadurch weiterhin Führender des Gesamtklassements.

Natürlich endete diese Etappe in einem Massensprint, die Frage war nur, ob und wie Mark Cavendish gewinnt. Sein Sprintzug bei Team Sky wurde das erste Mal in einer Grand Tour auf die Probe gestellt, es kam jedoch anders als geplant: in der letzten Kurve stürzte der Niederländer Theo Bos zusammen mit dem norwegischen Meister Alexander Kristoff in die Bande und hielt somit den größten Teil des Pelotons auf. Mark Cavendish hatte nur noch Geraint Thomas vor sich, als Garmin Barracuda 500m vor dem Ziel den Sprint für Tyler Farrar anzog. Cavendish  fand eine Lücke und sprintete über fast 500 Meter alleine zum Sieg. Er kam vor seinem ehemaligen Teamkollegen und Anfahrer bei HTC, Matthew Goss, ins Ziel. Dabei zeigte er, dass er es notfalls auch ohne sechs helfende Teamkollegen hinbekommt, einen Sprint für sich zu entscheiden.

07. Mai 2012 – 3. Etappe – Flachetappe durch Horsens

Chaos war das Stichwort für diese Etappe. Ferrari-Wortwitze zu Hauf: „ein Ferrari brachte Cavendish zu Fall“, „ein Ferrari kann nicht Rechts abbiegen, ohne Radfahrer mitzunehmen“, „ich hatte überlegt mir einen Ferrari zu kaufen, allerdings haben sie einen starken Rechtsdrall“ etc. etc.

Folgendes war passiert: Roberto Ferrari vom italienischen Continental Team Androni Giocattoli, zog an der 125m Marke und kurz, nachdem Mark Cavendish seinen Sprint begann, plötzlich nach rechts und riss den Straßenweltmeister mit dem Hinterrad bei 65km/h zu Boden. Das Ergebnis: ca. fünf bis acht Fahrer können nicht mehr ausweichen und Enden kurz vor Mark Cavendish in einem Haufen bunter Trikots, Rädern und schmerzverzerrten Gesichtern. Darunter auch das rosa Trikot von Talor Phinney, welcher im Krankenwagen die Ziellinie passiert. Aufgrund der UCI Regel, welche besagt, dass bei Stürzen innerhalb der letzten drei Kilometer jeder Fahrer zur selben Zeit gewertet wird, kann er jedoch, trotz eines ledierten Knöchels, auf dem Podium wieder sein Trikot in Empfang nehmen. Roberto Ferrari wird an das Ende des Etappenklassements relegiert. Auch wenn, unter anderem Mark Cavendish, dessen Hintern mit Sturzfolgen einen Tag später in der Yellow Press erschien, forderte, Ferrari aus der Giro zu werfen, ist dies nur Fahrern vergönnt, die laut UCI während eines Sprints für „Gewaltakte, Drohungen, Beleidigungen oder sonstige unangemessene Verhaltensweisen, welche andere Personen in Gefahr bringen“ verantwortlich sind, wie z.B. der Flaschenwerfende Tom Steels bei der Tour de France 1997 oder Mark Renshaw’s berühmter Headbutt aus dem Jahr 2010.

Der Sieg von Orica-Green Edge’s Matthew Goss vor  Juan Jose Haedo und Tyler Ferrar bekommt dementsprechend nicht viel mediale Aufmerksamkeit. Die Teams ziehen weiter nach Italien, wo ein Ruhetag und das Teamzeitfahren auf sie wartet.

09. Mai 2012 – 4. Etappe – Teamzeitfahren durch Verona

Zwei Häuser waren – gleich an Würdigkeit, hier in Verona, wo die Handlung steckt, durch alten Groll zu neuem Kampf bereit.

Es war zwar dramatisch, aber zur Tragödie entwickelte sich das Zeitfahren durch Verona nicht. Nun endlich in dem Heimatland der Giro und relativ gut erholt angekommen, traten die 22 Teams in einem Kurs über 32,2 Kilometern dazu an, Taylor Phinney das rosa Trikot abzunehmen. Im Gesamtklassement lauerten bereits Alex Rasmussen von Garmin-Barracuda sowie Geraint Thomas; letzterer schoss sich mit seinem Team selbst aus der Favoritenrolle, indem Sky, wie mir später berichtet wurde, einfach nur „scheiß langsam“ war. Ich konnte erst später einschalten und vermutete zuerst, ein Sturz sei an dem 9. Platz des Teams schuld…

So kam es also zum Duell zwischen Team BMC, mit sehr guten Zeitfahrern wie Taylor Phinney und Marco Pinotti, welche gegen Garmin-Barracuda (seit Jahren bekannt als Kaderschmiede für das Rennen gegen die Uhr) antraten. Beide Teams starteten hintereinander, Garmin 3 Minuten vor BMC. In der ersten Kurve, das erste Missgeschick: Alex Rasmussen konnte nicht mithalten und wurde am ersten uns einzigen Berg von seinen Teamkollegen abgehängt; das rosa Trikot für ihn endgültig ausser Reichweite. Die restlichen Fahrer zogen weiter und schafften eine beeindruckende Zeit von 37,4 Minuten. Nun war es an BMC, die Zeit zu übertreffen; mit Taylor Phinney, dessen rosa Trikot sich aufgrund seiner Körpergröße über seine Kollegen erhob. Mit geschwollenen Knöchel konnte Phinney die letzte Vorbereitung auf den Kurs nicht mitmachen, dies wurde später auch als Ursache benannt, wieso er, neben offensichtlichen Rythmussschwierigkeiten, in einer Kurve einen Ausflug in den Grünstreifen machte. Mit Übrigbleibseln aus dem Feld am Umwerfer, fuhr Phinney den Rest der Strecke am Maximum und landete letztendlich mit 31 Sekunden Rückstand auf Garmin-Barracuda und Tränen in den Augen auf Rang 10.

Zum Führenden im Gesamtklassement wurde nun der 24-jährige litauische Straßenmeister Ramunas Navardauskas, zuhause „Gnu Gnu“ genannt, im Team als „Nunas“, „Ramas“ oder „Honey Badger“ (Idee: David Millar). Garmin hatte zu diesem Zeitpunkt fünf Fahrer in den Top 8 des Gesamtklassements.

10. Mai 2012 – 5. Etappe – Flachetappe von Modena nach Fano

Über Bologna nach Rimini bis nach Fano – diese Etappe entlang der Adria in der Heimat von Marco Pantani, bot einen versteckten Anstieg 50km vor dem Ziel und viele stressigen Ausreissversuche, die den ganzen Tag das hohe Tempo bestimmten. Es wurde von Anfang an ordentlich Gas gegeben.

Cavendish’s persönlicher Trans-Europe Express

Einer der Haedo Brüder, Lucas Sebastián Haedo von Saxo Bank, verursachte einen kuriosen Crash in einer sonst sturzfreien Etappe, von dem jedoch nur er betroffen war. Er streifte, mitten im Plausch mit seinem Nebenmann, ein anderes Rad und plumpste ungeschickt zu Boden. Ausser Schürfwunden war ihm nichts passiert, durch die 3-fache Wiederholung live auf Eurosport war ihm die Blamage allerdings sicher. Auch Taylor Phinney fiel mal wieder vom Rad; so wie in tatsächlicher jeder der vorangegangenen Etappen, verfolgte den Amerikaner auch diesmal das Pech, als der Autospiegel eines Radioshack-Nissan Teamfahrzeugs ihn zu Fall brachte. Das Tempo blieb dennoch hoch, Tyler Farrar ließ abreissen, auch Thor Hushovd konnte nicht mithalten. Liquigas-Cannondale, Orica-Green Edge und FDJ bestimmten die letzten 20 Kilometer das Tempo, bis der 6-Mann Sprintzug für Mark Cavendish anrollte. In den letzten zwei Kilometern hatte Cav noch 4 Fahrer vor sich, ein Zeichen dafür, dass der Zug, im Gegensatz zu der weniger erfolgreichen Klassikersaison von Team Sky, endlich funktionierte. In HTC-Manier, wo der Sprintzug für Cavendish zur Perfektion geübt wurde, fuhr der Manx Express im fast schon langweilig anmutenden Finale als Erster über die Linie, im direkten Vergleich trotzdem mit mehr Endschnelligkeit als sein Konkurrent und im direkten Sprintvergleich auch diesmal nur Zweiten, Matthew Goss.

11. Mai 2012 – 6. Etappe – Mittlere Bergetappe von Urbino zum Porto Sant’Elpidio

Auf dieser Etappe konnten wir endlich sehen, wer in den nächsten Wochen für das Gesamtklassement bedeutend werden sollte. Die erste Bergetappe war zwar als „Medium“ klassifiziert, bereitete einigen Siegesanwärtern jedoch, auch aufgrund der Hitze, erhebliche Probleme. Manche Steigungen waren knallhart und dabei trotzdem auf dem Streckenprofil kaum erkennbar; offensichtliche Formschwächen und haarscharfe Disqualifikationen bestimmten diese Etappe am Ende.

Alleine durch Italien – Ramunas Navardauskas mit 5:41min Abstand zu den Ausreissern und eine Minute vor dem Hauptfeld

Der Kolumbianer Miguel Rubiano aus dem Team Androni Giocattoli hatte es eigentlich auf die Bergwertungspunkte abgesehen, bevor er bei noch 34 zu fahrenden Kilometern früh attackierte und das Ding überraschend nach Hause fuhr. Ramunas Navardauskas konnte sein rosa Trikot nicht mehr verteidigen und wurde, eigentlich wie erwartet, relativ früh abgehängt und von seinen Teamkollegen zurückgelassen. Navadauskas hatte als Träger des rosa Trikots ausserdem das Pech, ständig von einer Fernsehkamera verfolgt zu werden, welche das Leiden in seinem Gesicht nur allzu deutlich zeigte.

Trotz Allem kämpfte er sich bis ans Ende der Hauptgruppe zurück, anders als seine Kollegen im Grupetto, welche knapp an einer Disqualifikation vorbei schrammten. Acht Fahrer, darunter Taylor Phinney, Bernie Eisel, Theo Bos und Mark Cavendish, sahen sich nach eigener Aussage fast im Flugzeug zurück in die Heimat, vor allem dank eines Rennleiters, welcher ihnen die falsche Zeit durchsagte. Mit vereinter Kraft, Bernie Eisel mit Hitzschlag und Asthmaattacke kurz vor dem Ziel, schafften die Letzten es dennoch, eine Minute vor dem Cut und eine halbe Stunde nach dem Sieger, erschöpft ins Ziel.

Nach dieser Etappe tauschte der Zweite dieser Etappe, Adriano Malori vom Team Lampre, seine blau-pinken Teamfarben gegen das deutlich dezentere rosa Trikot.

Adriano Malori im rosa Trikot

12. Mai 2012 – 7. Etappe – Mittlere Bergetappe von Recanati zum Rocca di Cambio

Durch die Abruzzen an der Grenze zu Süditalien, wartete die erste Bergankunft dieser Giro auf das, vom Vortag noch immer ausgelaugte, Peloton. Einen Tag zuvor standen die Namen Thor Hushovd, Tyler Farrar, Roman Feillu und Pablo Lastras am Ende der Ergebnisliste, dahinter das Kürzel DNF für „Did not finish“, bei dieser Etappe gesellte sich Gianni Meersman dazu, welcher aufgrund von Sturzverletzungen, welche er seit der 2. Etappe mit sich schleppte, das Rennen aufgeben musste. Allgemein kühlere Temperaturen, machten das Rennen für die Fahrer jedoch etwas angenehmer, als am Tag zuvor.

Paolo Tiralongo am Ende – der 7. Etappe

Es gewann schon wieder ein Italiener: Paolo Tiralongo vom Team Astana, eine Mannschaft, welche von mir bisher erfolgreich verdrängt wurde, überholte im Zielsprint den nachträglichen Vorjahressieger Michele Scarponi und sank im Ziel erschöpft zu Boden. Währenddessen fuhr der Kanadier Ryder Hesjedal auf Platz Eins der Gesamtwertung und bescherte seinem Team Garmin-Barracuda den zweiten Fahrer im rosa Trikot, mit nur einem Tag Unterbrechung. Andere Anwärter wie Robbie Hunter und Michal Golas brachen früh ein, während sich neue hervortaten: Fränk Schleck beendete die Etappe als Dritter und liegt nun 48 Sekunden hinter Hesjedal, auch Joaqim Rodrigues vom Team Katusha ist mittlerweile auf dem 3. Gesamtplatz vorgerückt. Es wird spannend!

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