Rückblick: Die dritte und letzte Woche der Giro d’Italia 2012

Die letzten sechs Tage der Giro d’Italia 2012 führte die Fahrer zuletzt über drei hohe, sowie einer mittelschweren Bergetappe, einer Flachetappe und endete am Sonntag mit dem dem finalen Zeitfahren durch Mailand. In den ersten zwei Wochen taten sich einige Favoriten hervor, wer kann am Ende in den Bergen die meiste Zeit gutmachen und seinen Vorsprung bis nach Mailand retten?

22. Mai 2012- 16. Etappe – mittlere Bergetappe von Limone sul Garda nach Falzes (Pfalzen)

Eine der unbestritten schönsten Etappen dieser Giro führte nach Südtirol. In diesem Terrain hatten die Fahrer eine Chance, welche sich bisher noch nicht sehr hervorheben konnten, etwas Zeit gutzumachen. Doch es kam anders, als geplant: nach dem Ruhetag und wahrscheinlich auch aufgrund der schönen Gegend, entschied das Peloton sich geschlossen dafür, eine ruhige Kugel zu schieben. Pech für die 10 Ausreisser, die nicht eingeweiht wurden und als einzige an diesem Tag wirklich arbeiten mussten. Da sich niemand „wichtiges“ in der Gruppe befand, wurden sie vom Rest ignoriert; sie konnten ohne große Mühe einen zeitweiligenVorsprung von 13 Minuten herausfahren. Aus dieser Gruppe riss abermals Jon Izagirre aus und holte sich den Etappensieg in Pfalzen. An dem Gesamtklassement änderte sich wenig; alle Favoriten kamen geschlossen ins Ziel.


Gude Laune im Peloton - heute wird nicht gearbeitet

23. Mai 2012 – 17. Etappe – Bergetappe von Pfalzen nach Cortina d’Ampezzo

Quadrupel Splitscreen einer unübersichtlichen um im Rückblick aussichtslosen Ausreissersituation

Trotz der Länge von „nur“ 12 Kilometern, ist der Passo Giao einer der gefürchtetsten Anstiege der Giro. Mit 9,9% durchschnittlicher Steigung ist er zwar nicht der steilste aller Berge, er besitzt allerdings eine Eigenschaft, die auf seinen Straßen schon viele Motivationen und Ambitionen zerstört hat: die Steigung fällt nie unter 7-8% – 12 Kilometer nur Bergauf. Wer am Berg nicht viel ausrichten kann, hat noch die Chance auf dem Weg nach unten ein paar Stärken auszuspielen. Natürlich versuchten auch hier wieder ein paar Ausreisser das Rennen früh zu kontrollieren, jedoch lösten sich ihre Chancen über die ersten drei Anstiege hinweg in wohlgefallen auf. Vor dem Passo Giao kamen die Anderen zu keinem Atemzug: das Team Liquigas tat das, was sie am Besten konnten: das Tempo anziehen, um Ivan Basso, meist in 3. oder 4. Position seines Zuges, so wenig Konkurrenten wie möglich übrig zu lassen. Dem italienischen Express gelang es, das Feld zu sprengen; am Ende waren es 6 Fahrer, die das Rennen an dann unter sich ausmachten. An diesem Punkt verabschiedeten sich auch aussichtsreiche Favoriten wie Roman Kreuziger und Paolo Tiralongo vom Team Astana, sie waren die großen Verlierer dieser Etappe. Domenico Pozzovivo attackierte auf dem Weg nach oben und Michele Scarponi hatte mit Krämpfen zu kämpfen. Die restlichen Fahrer, darunter Rodriguez und Hesjedal, machten den Fehler und ließen ihn auf der Abfahrt wieder herankommen; somit kamen auch diesmal die Favoriten fast geschlossen ins Ziel. Joaquim Rodriguez schaffte es am Passo Giao zwar nicht Ryder Hesjedal, Ivan Basso oder Michele Scarponi abzuschütteln, er holte sich jedoch den Etappensieg und zementierte seine Ambitionen auf das Rosa Trikot.

24. Mai – 18. Etappe – Flachetappe von San Vito di Cadore nach Vedelago

Tja.

Mario Cipollini, große italienische Sprinterlegende, extravagante Persönlichkeit und mehrfacher Etappensieger bei seiner geliebten Giro d’Italia, segnete während der Rundfahrt täglich den italienischen Leser der Gazetta dello Sport mit seiner Meinung über die heutige Generation von Fahrern. Zu weich, zu wenig Kampfgeist, zu wenig Machismo – so sein Urteil. Auch Andrea Guardini, dem Sprinter des Teams Farnese-Vini, dessen Berater und Radsponsor er ist, war des Öfteren der Kritik des Meisters ausgesetzt. Cipo war einfach nicht zufrieden mit Guardinis bisheriger Performance bei der Giro. Vor ein paar Monaten bot er sich sogar als Anfahrer für Guardini an; Mario Cipollini weiss, wie man die Medien, und wahrscheinlich auch hunderte von Frauen, zufrieden stellt.

Bei dieser letzten Flachetappe der Giro schaffte es Andrea Guardini jedoch auch ohne die Hilfe von Lord Mario den Weltmeister Mark Cavendish zu besiegen. Mit einem beeindruckend früh angezogenen Sprint überholte er Cavendish, noch bevor dieser sich aus dem Windschatten seiner Anfahrer löste und war um eine halbe Radlänge vor dem Briten im Ziel. Cavendish ärgerte sich offensichtlich: „Ich war zu faul und habe zu spät reagiert“. Ein Fehler mit folgen, wie sich später herausstellen sollte.

25. Mai – 19. Etappe – vorletzte Bergetappe von Treviso nach Alpe di Pampeago

Viele Fahrer beschrieben diese Etappe als die härteste dieser Giro, obwohl der Weg zum legendären Stelvio Pass am nächsten Tag noch bevorstand. Es wurden Attacken erwartet, ausserdem ging man nun davon aus, dass noch ein paar Fahrer aus den Top 10 fliegen. Von Ryder Hesjedal wurde viel erwartet, auch wenn niemand den Kanadier aus dem Team Garmin-Barracuda, mit den wenigen bedeutenden Siegen und seiner bisherigen Rolle als Domestik für Bradley Wiggins und Christian Vande Velde, richtig einschätzen konnte. Seine bisherigen Leistungen bei der Giro machten ihn jedoch schlagartig zum Favoriten, unter anderem, weil er als bester Zeitfahrer unter den Top 5 galt und seinen Vorsprung locker mit in das letzte Einzelzeitfahren nach Mailand mitnehmen könnte.

Bei der letzten Bergankunft noch knallhart abgehangen, siegte auf dieser schweren Etappe jedoch Roman Kreuziger vom Team Astana mit einer Attacke 25 Kilometer vor dem Ziel und 22 Kilometer später als einziges Überbleibsel einer frühen Ausreissergruppe. Damit beruhigte er als ursprünglich aussichtsreicher Kandidat auf den Gesamtsieg nicht nur das Team, sondern auch die Sponsoren. Trotz allem hatte das Team keinen aussichtsreichen Fahrer im Gesamklassement, der Etappensieg war auch für Kreuziger nur ein schwacher Trost. Hesjedal kam nur 19 Sekunden später ins Ziel.

Die Top 4 auf dieser vorletzten Bergetappe sah folgendermaßen aus:

1 Joaquim Rodriguez Oliver (Spa) Katusha Team 84:06:13
2 Ryder Hesjedal (Can) Garmin – Barracuda + 0:00:17
3 Michele Scarponi (Ita) Lampre – ISD + 0:01:39
4 Ivan Basso (Ita) Liquigas-Cannondale + 0:01:45

26. Mai – 20. Etappe – Bergetappe von Caldes/Val di Sole zum Passo dello Stelvio

So schön, und doch so grausam: der Passo dello Stelvio. Foto: will_cyclist ({link url="http://www.flickr.com/photos/willj/4951364523/" target="_blank" rel="nofollow" title="Stelvio by will_cyclist"}Flickr{/link})

Sechs Jahre lang hatte Thomas De Gendt hier trainiert, nach eigener Aussage den Stelvio schon 20 bis 30 Mal befahren, nur um sich nun hier an „seinem Berg“ den Sieg einzufahren und sich zeitweilig, mit 5 Minuten Vorsprung auf das Hauptfeld, auf dem zweiten Platz im virtuellen Klassement wiederzufinden. Eddy Meckx sagte dazu: “Thomas De Gendt war der einzige, welcher etwas wagte. Die anderen hatten Angst, Angst voreinander, Angst vor den Bergen.“

"Ich habe eine Schwäche für Salami und Würstchen. Ich liebe das zu essen, was ein Profiradsportler eigentlich nicht essen sollte." - Thomas De Gendt

Am Ende rutschte er vom 8. auf den 4. Platz und verdrängte dabei Ivan Basso, welcher den Anschluss in den letzten Kilometern dieser Etappe verlor. Vier Fahrer kamen nicht einmal bis zum Stelvio: sie wurden nach dem Passo del Tonale, dem ersten Berg dieser Etappe, disqualifiziert und vom Rennen ausgeschlossen, weil sie sich angeblich entweder zu lange im Windschatten der Teamautos befanden, oder sich daran festhielten. Unter den Disqualifizierten befand sich auch der Sieger der 18. Etappe, Andrea Guardini, sowie der eigentlich recht erfolgreiche Kletterer Ivan Velasco vom Team Euskatel-Euskadi.

Garmin-Barracuda verfolgte die richtige Taktik: Christian Vande Velde gehörte zu den frühen Ausreissern und sparte seine Energie, um sich dann, mit dem Stelvio in Sichtweite, zurückfallen zu lassen und seinen Kapitän Ryder Hesjedal (und notgedrungen auch dessen Konkurrenten) anzuziehen. Thomas De Gent attackierte mehrere Male aus der Ausreissergruppe heraus und war auf den letzten 13. Kilometern alleine unterwegs, eingerahmt vom Schnee des Gletschers. Die letzten 3 Kilometer sichtlich leidend, überquerte er die Ziellinie mit 59 Sekunden Vorsprung vor den letzten beiden Übriggebliebenen seiner Ausreissergruppe, Damiano Cunego und Mikel Nieve, sowie knapp 3:30 Minuten vor den Favoriten.

Joaquim Rodriguez überquerte als vierter die Ziellinie und gewann damit noch 14 Punkte in der Wertung um das Rote Trikot – und überholte damit Mark Cavendish um einen Punkt, welcher sich nun erst recht über den verpassten letzten Sprintetappensieg ärgerte. All die Strapazen durch die Berge am Rande des Zeit- und Nervenlimits, im Grunde umsonst. Die meisten Sprinter waren längst zuhause.

Um sein Maglia Rosa verteidigen zu können, musste Joaquim Rodriguez nun seinen Vorsprung von 31 Sekunden im Zeitfahren verteidigen.

27. Mai – 21. Etappe – Einzelzeitfahren durch Mailand

Das war die Giro d’Italia. Mit dem letzten Einzelzeitfahren über 28 Kilometer wurde das vollendet, was in Herning drei Wochen zuvor begann. Joaquim Rodriguez startete im Rosa Bodysuit und brauchte nach eigener Aussage ein Wunder, um am Ende des Tages den schönen Pokal mitzunehmen. Hesjedal hatte bei der ersten Zeitnahme nach 10 Kilometern bereits 2 Sekunden Vorsprung vor ihm und kam mit einer uneinholbaren Zeit ins Ziel, 47 Sekunden schneller als Rodriguez; Hesjedal gewann die Giro d’Italia mit nur 16 Sekunden Vorsprung und war somit der erste kanadischer Grand Tour Sieger.

Die schnellste Zeit fuhr Marco Pinotti, 39 Sekunden vor Geraint Thomas. Wieder ein Sieger vom Team BMC, nachdem Taylor Phinney den prolog für sich entschied. Dieser rettete sich übrigens bei seiner ersten Giro d’Italia durch die Berge und wurde am Ende drittletzter im Gesamtklassement. Dies gebührt Respekt, vor Allem weil nur 157 von 198 Fahrern überhaupt die Giro beendeten. Dem letzten Fahrer im Klassement wird inoffiziell das Maglia Negra verliehen, Phinney war nur 2 Plätze davon entfernt, Träger des Maglia Rosa und des Maglia Negra bei der selben Rundfahrt zu werden.

Thomas De Gendt beendete die Giro d’Italia zu seiner großen Überraschung auf dem dritten Platz. Ryder Hesjedal empfing, zu Tränen gerührt, die Siegertrophäe auf dem Siegerpodest und beschrieb Erfolgsgeheimnis damit, dass er nicht einen Tag an den Gesamtsieg gedacht hatte. Joaquim Rodriguez war natürlich bitter enttäuscht, konnte aber immerhin das Rote Trikot mit nach Hause nehmen. Auch Team Sky ging nicht ganz leer aus, obwohl Cavendish sein Trikot an Rodriguez abgeben musste  – sie stellten mit den Kolumbianern Rigoberto Uran und Sergio Henau mit großem Abstand die beiden besten junge Fahrer.

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