Radfahrertypen

Wie ihr wisst ist Radsport der härteste Sport der Welt. Dieser Sport und die Anstrengungen einer großen Rundfahrt werden notorisch unterschätzt. Aber um das zu begreifen, ist es wichtig zu wissen, was verschiedene Radfahrertypen mitbringen müssen, um große Touren zu bestreiten und was der Körper während einer großen Rundfahrt aushält.

Zuerst muss man zwischen Radfahrertypen unterscheiden, zum Beispiel basierend auf den Trikots der Tour de France: der Sprinter (Anzahl gewonnener Etappen: grünes Trikot), die Bergziege (Punktewertung: gepunktetes Trikot), der Allrounder (Sieger der Zeitwertung / Gesamtsieg: gelbes Trikot), und zu guter letzt der Zeitfahrspezialist, oft Fahrer, welche auf Gesamtsieg fahren, denn wer schlecht im Zeitfahren ist, wird heutzutage keine große Rundfahrt gewinnen.

Ein Allrounder ist in der Regel auch ein guter Bergfahrer, da man die Tour nur gewinnen kann, wenn man in den Bergen seine Stärken ausspielt. Deshalb fassen wir diese beiden Fahrertypen zusammen:

Die Bergziege / der Allrounder

Nicht nur ein geringes Körpergewicht zählt bei Anstiegen als Bonus, auch genetisch sollte der Fahrer einiges mitbringen, wenn er es auf den Gesamtsieg oder den Sieg in der Bergwertung abgesehen hat.

Miguel Indurain Allrounder

Miguel Indurain / Paris Nizza ’89 – Foto: Numerius (Flickr)

Zwar wiegt Alberto Contador nur 62kg bei einer Körpergröße von 1,76m und gewann dadurch unter Anderem bei entscheidenden Etappen am Berg zwei Mal die Tour de France, aber sein Landsmann Miguel Indurain überragte ihn mit 1,88m nicht nur um zwölf Zentimeter; „Big Mig“ wog zudem 80kg und gewann die Tour zwischen 1991 und 1995 gleich fünf mal in Folge. In den ersten Jahren bei Banesto war er als Helfer eingespannt, viele fragten sich, was der große Typ überhaupt im Peloton zu suchen hat. Er zerschlug jedoch die Klischees seiner Mitfahrer mit einer beeindruckenden Ausdauer und viel natürliches Talent. Indurain bewies somit früh, dass ein Kletterer auch genetisch gesegnet sein sollte, um die enormen Kraftanstrengungen am Berg aushalten zu können. Ein großes Herz zum Beispiel – um so mehr Blut das Herz in der Lage ist zu pumpen, desto mehr Sauerstoff wird zu den Muskeln weitergeleitet. Miguel Indurain war damit allerdings ein Ausnahmetalent, er hält mit nur 28 Herzschlägen pro Minute den Rekord für den niedrigsten Ruhepuls, welcher je bei einem gesunden Menschen gemessen wurde.

Eine ordentliche Ernährung, abgestimmt auf den Bedarf des Körpers im dreiwöchigen Ausnahmezustand während der Tour de France, sind enorm wichtig. Wenn ein Fahrer also während einer Rundfahrt täglich 8000 bis 9000 Kalorien, meist in Form von riesigen Mengen an Nudeln mit Olivenöl und Unmengen an Power Bars oder Gels zu sich nimmt, kann es passieren, dass er in den ersten Stunden einer Rundfahrt noch immer nicht alles Verdaut hat. Es kann aber auch passieren, dass der Fahrer, wenn er zu wenig isst, mitten am Berg einen Hungerast erleidet und davon nicht mehr herunterkommt. Das ist von Fahrer zu Fahrer unterschiedlich aber immer, vor allem bei den hohen Anstrengungen, hinderlich beim Klettern. Eine schnelle Fettverbrennung oder eine schnelle Verdauung sind Gottgegeben, manche sind damit gesegnet, manche nicht.

Jan Ullrich ist ein Beispiel dafür, was für einen wichtigen Einfluss gute Gene auf die Fitness eines Radsportlers haben. Jedes Jahr aufs neue lästerten die Zeitungen über sein tatsächlich groteskes Übergewicht zu Saisonbeginn, Fahrerkollegen berichteten, dass er bei den frühen Rundfahrten am Berg scheinbar rückwärts fuhr – trotzdem bestand seine Stärke darin, dass sich sein Körper den Anstrengungen extrem schnell anpasste. Jan Ullrich hatte einen verblüffenden Metabolismus, er aß viel und verbrannte das doppelte davon. Viele Fahrer müssen, vor allem zu Saisonbeginn, eine strenge Diät einhalten und die Balance zwischen einem fitten und einem schmalen Körper zu finden. Der BMI sollte nicht unter 19 fallen, da Gewichtsreduktion automatisch mit Leistungsverlust einhergeht. Ulle erreichte sein Idealgewicht meistens innerhalb weniger Wochen. Pünktlich zu den wichtigsten Rennen war er immer in Topform und konnte, trotz des „athletischen“ Körperbaus am Berg mit den Besten mithalten.

„Ich habe im Feld viele dünne Fahrer gesehen, aber nur wenige Tour-Sieger.“ – Jan Ullrich

Das Gewicht des Fahrers und seiner Ausrüstung, inklusive Rad, ein äußerst wichtiger Faktor, um vor allen Anderen die Bergspitze zu erreichen. Jedes unnötige Kilogramm, welches man am Berg mitschleppt, verursacht einen Zeitverlust von bis zu 1,5%. Nehmen wir Marco Pantanis Höllenritt am Alpe d’Huez von 1997 als Beispiel, in dem er einen Streckenrekord von 37:35min bei einer Strecke von 14,5km und 1130 Höhenmetern aufstellte (ein mittelmässiger Hobbyfahrer braucht dafür ca. 90 Minuten): hätte er mitsamt Fahrrad einen Kilo mehr gewogen, also 66kg, hätte er einen Zeitverlust von ganzen 70 Sekunden in Kauf nehmen müssen. Diverse Stimulanzien der 90er Jahre nicht mit eingerechnet. Um so mehr der Fahrer und das Fahrrad wiegen, desto höher der Quotient. Bei 100kg Gesamtgewicht sinkt dieser Wert zum Beispiel von 1,5% auf einen Prozent, leichte Fahrer sind bei gleichem Kraftaufwand schneller über den Berg.

Der Sprinter

Bernie Eisel und Mark Cavendish am Berg

Bernie Eisel, Mark Cavendish und der natürliche Feind eines Radfahrers: die Berge – Foto: Cindy Trossaert (Flickr) CC-BY-NC

Der Sprint um einen Etappensieg sind einfach gesagt kurzzeitige Kraftexplosionen; Sprinter sind vom Körperbau daher oft eher muskulöse Typen wie Andre – the Quad – Greipel. Mark Cavendish bildet jedoch eine Ausnahme: er wiegt „nur“ 70kg bei 1,75 Körpergröße. Vor Cavendish ging es beim Sprinten ausschließlich um Kraft, mittlerweile besteht die Kunst eines Sprinters darin, seine Energie lange aufzusparen, um sie am Ende einer Etappe schlagartig loszuwerden. Trotzdem steht er am Berg vor dem selben Problem wie alle seine Sprinterkollegen: er ist nun mal kein Ausdauersportler wie die langen, dünnen Radfahrertypen. Um in den obligatorischen Bergetappen nicht aus der Wertung zu fliegen und vom Besenwagen eingesammelt zu werden, brauchen sie die Helfer aus dem Team, welche Windschatten spenden und die Hoffnung, dass das Feld nicht zu schnell wird, damit die Karenzzeit (Zeit in der die Fahrer ins Ziel kommen müssen um nicht ausgeschlossen zu werden, ca. 20% der Siegerzeit bei Bergetappen) gering bleibt.

Mark Cavendish ist kleiner als andere Sprinter, er fährt mit seinen kurzen Beinen aber um einiges effizienter: die typische aerodynamische Position beim Schlusssprint kann bisher von niemandem kopiert werden. Dabei lehnt er sich weit über den Lenker nach vorne und ist dabei in der Regel schneller als der Rest, vor allem wenn er jemanden hat, der ihn Anfährt. Er hat aber auch oft genug bewiesen, dass er es auch alleine kann, z.B. bei der letzten Etappe der Tour de France 2010 auf dem Champs Elysees.

Hier zu sehen: Während Andreas Klier versucht Thor Hushovd in seinem Windschatten an die Ziellinie zu fahren, zieht Mark Cavendish ungewöhnlich früh rechts an allen vorbei und gewinnt seine fünfte Etappe.

Als Sprinter trainiert man nicht nur dadurch lange und viel zu fahren, sondern vor allem, indem man beim Training in den größtmöglichen Widerstand hineinfährt und somit das Ausscheren aus dem Windschatten seines Vordermanns simuliert. Praktisch sieht das so aus, dass die Fahrer auf freier Strecke bei bis zu 80km/h hinter einem Auto oder einem Motorrad herfahren, um sich dann aus dem Windschatten zu lösen und so hart in die Pedalen zu treten wie es geht. Beim Training für das Team-Zeitfahren wird es ähnlich gemacht, da jeder Fahrer im Rotationsprinzip nach vorne muss, damit sich die Anderen ausruhen können.

Der Zeitfahrspezialist

Als der Amerikaner Greg LeMond im Jahr 1989 die Tour de France mit 8 Sekunden Abstand zum Franzosen Laurent Fignon gewann (der bis heute knappste Toursieg), verdankte er dies vor allem seinem neu entwickelten Zeitfahrlenker. Fignon hörte nie auf, sich über diese Neuerung zu beschweren; damals waren nur drei Auflagepunkte des Körpers beim Zeitfahren erlaubt: Pedale, Sattel und Hände. Greg LeMond dehnte den Begriff, indem er auch die Unterarme auflegte. Neu an dem Lenker waren nämlich die zusätzlichen Ablagevorrichtungen kurz unter den Handgelenken, welche eine aerodynamischere Körperposition erlaubten und kostbare Sekunden ausmachen konnten.

Greg Le Mond Zeitfahrer

Greg LeMond bei der Tour de France 1989 mit neuartigem Lenker – Foto: Numerius (Flickr)

Die bestmögliche Aerodynamik ist das große Ziel jedes Zeitfahrers, der Wind der größte Feind – 82-90% der Leistung gehen dafür drauf, den Luftwiderstand zu durchbrechen. Deshalb auch die lustigen Helme und die engen Bodysuits. Die Handhaltung, der Kopf – alles muss perfekt positioniert werden um den Luftwiderstand zu verringern. Getestet wird das in der Regel im Windtunnel (wenn der Sponsor das Geld dafür bereitstellt) oder auf der Radrennbahn in Testrunden. Interessant ist dabei, dass der Leistungsverlust des Radfahrers durch die extrem unbequeme Haltung in Kauf genommen wird, da die aerodynamischen Vorteile den Zeitverlust durch den Leistungsabfall ausgleichen.

Als Tony Martin im Jahr 2011 den Zeitfahr-Weltmeistertitel gewann, konnte ein Kenner auf den ersten Blick erkennen, was er richtig gemacht hat: seine Position auf dem Rad war annähernd perfekt. Das beinhaltet: den Rücken so stark wie möglich runterzudrücken, die Schultern nach vorne zu ziehen, mit dem Hintern auf dem Sattel so weit wie möglich in Richtung Lenker zu rutschen und den Lenker so tief absenken, dass die Knie beim Treten über die Höhe der Ellenbogen gelangen. Klingt schmerzhaft, ist auch so. Es werden andere Muskelpartien angesprochen als in der normalen Straßenrad-Position. Die Zeitfahrräder sind der Körperposition dementsprechend angepasst, der Sattel ist höher, der Lenker um einiges (ca. 15cm) tiefer. Tony Martin fuhr die knapp 47km lange Strecke in Kopenhagen in 54 Minuten mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 51km/h, das heisst eine Stunde auf voller Leistung fahren, bis man Blut schmeckt.

Verschiedene Fahrertypen haben also nicht nur einen unterschiedlichen Körperbau, sondern auch unterschiedliche Trainingsanforderungen. Um ein Vollzeit-Radfahrer zu sein, bedarf es einige Opfer und viel harte Arbeit, nicht nur auf dem Rad.

Quellen:

Artikel von Manfred Nüscheler: Leistungsfähigkeit auf dem Rad am Berg

Sky Sports UK Interview mit Mark Cavendish: http://youtu.be/y72sn9wBs6Y

Zeitfahr-Spezial Tour 1/2007

Taylor Phinney: Entering the Pain Cave – Stage 10 TT

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