24 Stunden Rennen: Rad am Ring – ein Reisebericht

24 Stunden Rennen haben eine lange Tradition in der europäischen Radsportgeschichte. Eines der ältesten Ganztagesrennen ist das 24 Stunden Rennen in Saosnois, auch auf dem legendären Circuit de Le Mans findet jedes Jahr gegen Ende August auch ein Rennen für Radsportler statt. Der Nürburgring in der malerischen Eifel bietet eine wunderschöne Kulisse für 24 Stunden Qual. Wer tut sich so etwas an? Zwei meiner Freunde entschieden sich zwei Tage vor Anmeldungsschluss spontan dazu, sich für den Wahnsinn einzuschreiben – um dann kurz nach Erhalt der Startunterlagen zu der Erkenntnis zu gelangen, dass der Nürburgring nicht so flach ist wie angenommen (die beiden kommen aus den berglosen Regionen um Hamburg und Berlin), sondern mehrere Anstiege von teilweise 17% verteilt auf über fünf Kilometern beinhaltet. Angst machte sich breit, die Abfahrten, vor Allem die sogenannte „Fuchsröhre“ an der Nordschleife sind dementsprechend gefürchtet, die Veranstalter rieten vorsorglich, sich auf den Abfahrten „breit“ zu machen, um den Strömungswiderstand zu erhöhen und nicht zu schnell zu werden. Nicht jeder befolgte den gut gemeinten Rat. Erst im März rettete dem Berliner vom Frankfurter Tor ein Helm das Leben, als ihm auf ebener Strecke die gebraucht gekaufte Carbongabel mitsamt, unter Anderem, seinem Jochbein brach. Drei Tage Koma waren die Folge. Es kostete ihm viel Überzeugungskraft der Freundin in Berlin zu versichern, dass die Strecke nicht so gefährlich ist, wie die halsbrecherischen Nachtaufnahmen aus dem Vorjahresrennen auf YouTube suggerierten. Es war eh ein Fehler das Video vorher auf Facebook zu posten.

Ich wurde als logistische Unterstützung und in meiner Nebenrolle als Fotograf von den Beiden eingeladen, was ich natürlich gerne annahm – das Wetter sollte schön werden und ich befand mich deutschlandweit noch nie jenseits von Aachen. Der Flug aus Berlin hatte Verspätung, der Mietwagen Probleme mit dem teuren Colnago Master und dem grazilen halb-Zeitfahrrad der Marke Felt. Volvo Kombi’s sind für ihren Stauraum bekannt, aber nur, wenn man es hinbekommt die Kofferraumabdeckung sinvoll zu entfernen um zwei Sitze (anstatt nur einen) umzuklappen… Das Colnago Rad war in einer Transporttasche verpackt, was, wie sich später heruasstellte keine ausreichende Polsterung bot. Irgenwo auf dem Weg von Berlin bis Köln (oder durch das dilletantische Verladen in den Volvo) verbog sich das Schaltauge, was dazu führe, dass direkt bei der ersten Proberunde die Kette abfiel und sich das Schalten allgemein erschwerte. Die Reperatur hätte einen robusten Fahrradkoffer immerhin zur Hälfte finanziert.

Unser Lager

15 Minuten vor der Deadline für die Abholung der Startnummern erwartete uns und hunderte andere Starter in verschiedenen Rennkategorien der Nürburgring in seiner vollen Pracht. In den Boxengassen gab es Verpflegung in Form von Pasta und „Lummerschnitzel“, man konnte sich als Team sogar für nur 15€ Extra einen Platz in einer der Gassen mieten, allerdings musste man dafür bei der Anmeldung schneller sein, als meine zwei es Begleiter waren. Um 13:15 Uhr wurde die Startlinie passiert, 24 Stunden später sollten die Teilnehmer wieder über die Ziellinie rollen, in welchem Zustand auch immer. Es gab Fahrer die sich tatsächlich dazu entschieden die 24 Stunden alleine zu bestreiten; meine Begleiter teilten sich, auch um den Hintern zu schonen, ihre Schichten durch die Anzahl der Runden auf: erste eine, dann 2x zwei, in der Nacht jeweils einmal drei Runden und den Rest: mal sehen.  In der Regel dauerte eine Runde über 26 Kilometer knapp eine, später, vor Allem in der Nacht, bis zu eineinhalb Stunden. Der erste Horror erwartete den Fahrer aus Hamburg in seiner Proberunde bei der ersten Abfahrt: er hatte vergessen die Hebel an den Bremsbacken wieder festzuziehen, nachdem er für den Transport die Reifen abgenommen hatte. Als er auf der ersten steilen Abfahrt Bremsen wollte, sah er vorne den Spalt zwischen Reifen und Vorderradbremse und geriet leicht in Panik. Ein Griff nach Vorne – in der Fahrt – behob das Problem. Eine von vielen Anekdoten die sicher noch in ein paar Jahren erzählt werden.

Dass es hier nicht um Performance, sondern um die Herausforderung ging, musste man sich spätestens nach der vierten Schicht, als die Übergabe des Transponders (es gab nur einen pro Team) vergessen wurde, gegenseitig einreden. Eine Runde umsonst gefahren, aber es geht ja um die Erfahrung! Entlang der Strecke gaben die Zähler ein akustisches Signal ab, um die Transponder zu registrieren: „Dein Transponder hat nicht ausgelöst!“ – „Ist, äh, schon OK.“

Die Eifel von ihrer schönsten und grausamsten Seite, der Beginn des Schlussanstieges

Die Fuchsröhren waren nicht so gefährlich wie erwartet, allerdings waren die Anstiege so hart wie anfangs befürchtet und zogen sich scheinbar endlos hin. Zusammen mit den Rennradfahrern starteten 15 Minuten später die Mountainbiker in ihr 24 Stunden Dilemma, mit einem gesonderten Abschnitt über ein Offroad-Kurs und mit einer teilweise deutlich kleineren Übersetzung und einem teilweise deutlich größerem Körperumfang. Bei meiner ersten Erkundungstour zu Fuß am Kurs entlang, waren die Fahrer beider Kategorien bereits sechs Stunden unterwegs, dementsprechend locker die Umgangsformen (wer noch konnte unterhielt sich oder flirtete mit den wenigen Frauen) und die Bronchien – keuchend und rotzend rollten sie dem Rundenende entgegen, Gelpackungen pflasterten den Weg, selbst Bidons lagen am Wegesrand – wie bei den Pro’s. Nur noch 18 Stunden.

Über Funk blieben meine beiden Wegbegleiter in Kontakt um die Wechsel zu planen und allgemeine Albernheiten auszutauschen. Ab und zu hörte man den Funkkontakt der anderen Fahrer, in denen es um zu große, schwer zu verzehrende Kartoffelstücke, Anfragen ins Nichts („Sven?“) und Gespräche unter Kindern ging („Ich glaub da hört ein Erwachsener mit“). Man hörte von einem Mann mit einem Berliner Dialekt, welcher durch die Radiowellen geisterte und zu den mitgehörten Funksprüchen wenig konstruktiv beitrug („Sven? Der ist schon zuhause.“). Währenddessen testete der Kollege aus Altona in windschnittiger Position die Geschwindigkeitsanzeigen am Rand der Abfahrten, brach das Unterfangen jedoch ab, als sein Vorderrad mit Carbonfelge anfing zu schlackern. Ein Blick auf den Tacho verriet später: Spitzengeschwindigkeit 93 km/h, ohne sich „breit“ zu machen. Lieber nicht wiederholen.

Beeindruckend auch der Enthusiasmus der anderen Teilnehmer: neben 2er Teams konnte man in 4er und 8er Gruppen mehr Professionalität beobachten. Cardiogeräte, SRM’s, Masseure, Massagetische, Transponder an Trinkflaschen, welche im fliegenden Wechsel übergeben wurden und die ehrenvolle Aufgabe Dritter, sich beim Eintreffen des einen Fahrers runter zu bücken und dem darauf folgenden den Transponder per Klettverschluss ans Bein zu heften. Teamtrikots gab es in Form von einheitlichen Jerseys (ehemaliger) professioneller Teams (z.B. Festina als glänzendes Beispiel vergangener Tage) oder beeindruckend uninspirierten Anlehnungen an das mittlerweile schon legendäre Leopard-Trek Kit aus der Saison 2011. Team Gulasch, Lindenstraße, „Bis die Wade kracht“ und Sektion Ostberlin trafen sich spätestens an den Verpflegungsstationen entlang der Strecke, wo hastig im Startpreis mit-inbegriffene Energie- und Schokoriegel in den Rückentaschen deponiert wurden. Meine Teamkameraden brachten mir ab und zu ein paar Riegel mit; die extraportion Kohlehydrate konnte ich im Sitzen zwar nicht so schnell verbrennen, aber als Vorkoster definitiv beurteilen, dass die Citrusdinger wie Klostein schmeckten. Allgemein war die Verpflegung sehr gut organisiert, einzig die Tatsache, dass Pepsi umsonst verteilt wurde und man für Coca Cola bezahlen musste, störte den schnorrenden Begleiter. Unsere, durch die vielen Steckdosen in den Wartebereichen begünstigte, schon albern anmutende Gadgetkollektion vertrieb uns die Zeit zwischen den Wechseln. Kaffee und schwarzer Tee halfen dabei. Auf den Bierbänken zu liegen war zu unbequem, auf den Tischen zu schlafen irgendwie zu stillos – ab ein Uhr morgens, zum Start der drei Runden andauernden Schichtwechsel, diente der Volvo Kombi als Teambus. Nur leider ohne Sougnieur, Duschen und halbwegs bequemen Liegegelegenheiten.

Gegen 21 Uhr verschwand die Sonne im bergigen Radsportparadies und es wurde stockdunkel. Weiße und rote Lichter schwirrten nun entlang der Strecke. Man merkte den Fahrern vereinzelt deutlich die angespannten Nerven an.

Drei Runden in der Nacht waren in Wirklichkeit ein utopisches Ziel – der Teamkamerad aus Berlin klopfte um drei Uhr, nach zwei Runden, frierend an das Autofenster und legte sich nach der Dusche (die er nicht kommentieren wollte), so gut es ging auf den Fahrersitz. Um 6 Uhr morgens, nach einem kalten und unbequemen Powernap, übernahm der Kollege aus Altona wieder. Nur noch 7 Stunden.

Die letzten Stunden gestalteten sich extrem zäh, zwar waren beide Fahrer nach einer Runde wieder fitter und versprühten eine Euphorie, die wahrscheinlich aufgrund des Schlafmangels und allgemeiner Verzweiflung entstand, aber als Begleitung war selbst Lesen irgendwie zu anstrengend. Am Nachbartisch wurde Skat gespielt. Schlafmangel wäre auch eine Erklärung für den erneut vergessenen Transponder. Die verlorene Runde wurde zum wach werden gefahren.

Um 14 Uhr sollten die Fahrer von der Strecke gewunken werden. Es wirkte sich allgemein besser auf die Platzierung aus, wenn man das Rennen früher beendete. Zwischen den beiden erstplatzierten Fahrerteams (nein, wir waren nicht darunter) lagen drei Runden und 15 Minuten Unterschied, das Team mit weniger Runden (27) in geringerer Zeit (23:50h) wurde tatsächlich höher Eingestuft. Unser Team schaffte am Ende glorreiche 14 offizielle Runden, 16 inoffiziell, was uns ganz theoretisch von 250 gestarteten 2er Teams ins vordere Drittel katapultiert hätte. Theoretisch!

Die unverbindlichen Voranmeldungen für das nächste Jahr laufen übrigens schon, wir treten wieder an – mit besserer Vorbereitung, am Besten im Teambus.

 

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