Frankfurt/Oder besitzt etwas, was viele Bahnradsportfans in ihrer näheren Umgebung schmerzlich vermissen: ein überdachtes Velodrom mit Holzrennbahn. Jedes Jahr im November findet hier der Frankfurter Kreisel statt, ein Bahnradrennen mit Teams aus der Region und ein paar entfernt-lokalen Profis. Maximilian Levy liess hier seine äußerst erfolgreiche Saison ausklingen. Der Cottbusser brachte von den Olympischen Spielen in London eine Silbermedaille im Keirin und eine Bronzemedaille im Teamsprint mit nach Hause, nachdem er zum Anfang des Jahres beim Bahnrad Weltcup in Cali in beiden Disziplinen den ersten Platz belegte. Der derzeit erfolgreichste deutsche Bahnradfahrer nahm sich zwischen Aufwärmintervallen auf der Frankfurer Bahn Zeit für ein knapp 40-Minütiges Interview.

Foto: © Thomas Damm
Erzähl doch mal etwas über dich
Ich bin eigentlich Berliner und habe immer Sport getrieben und bin viel Rad gefahren, auch weil mein Opa damals schon bei der Friedensfahrt mitfuhr. In Berlin kam man dadurch auch bevor man einen Führerschein hatte schnell von A nach B. Dann haben sie mir früher am Prenzlauer Berg öfter mal mein Rad geklaut, bis meine Eltern dann sagten „Ne, kriegst keins mehr, wenn du unbedingt Fahrrad fahren willst, kannst du in einen Verein gehen.“. Also war ich drei bis vier Jahre mit dem Verein in Berlin unterwegs, was aber irgendwann mit der Schule nicht mehr zu vereinbaren war. Also bin ich im Jahr 2000 nach Cottbus gegangen, wo man sowohl auf dem Rad als auch auf der Bahn ausgebildet wurde. 2002 wurde mir geraten endgültig auf die Bahn zu wechseln. Dann ging es recht schnell, 2004 wurde ich Deutscher Meister und Weltmeister der Junioren, dann war ich drin.
Welche Eigenschaften haben dich so weit gebracht, was muss man mitbringen um so weit zu kommen?
Man hat leider nicht oft Bedingungen wie in Cottbusser Sportinternat mit Möglichkeiten überhaupt auf einer Bahn zu fahren. Es gibt nicht mehr viele Städte in Deutschland, wo man auf der Bahn trainieren kann. Ich hatte den Vorteil, dass ich relativ breit ausgebildet wurde, dementsprechend konnte man sehen wo meine Stärken und Schwächen liegen; ich konnte auch auf der Straße schon gut sprinten und hatte Probleme mit den Bergen. Ich hatte immer ein gutes Auge und auch den nötigen Instinkt. Wenn das Talent erkannt wird, entwickelt man sich bestenfalls in die richtige Richtung.
Als Sprinter spielt auch der Charakter eine gewisse Rolle. Man muss auch einen gewissen Hang zum Risiko mitbringen, auch mal aufs Ganze gehen. Als ich mit 15 Jahren in eine Trainingsgruppe kam, fuhren darin auch Leute bis 25, von denen lernt man natürlich. Man merkt aber auch recht schnell, was von einem gefordert wird, als Sprinter muss man auch mal Schwein sein.
Das war mit dem WorldCup und den Olympischen Spielen ein sehr hektisches Jahr für dich. Wann und wie lang ist eure Off – Season als Bahnradfahrer?
Ich war vor kurzem sechs Wochen im Urlaub, weshalb ich auch nicht beim World Cup in Glasgow angetreten bin. In der Zeit hatte ich mir meine Platte in der Schulter herausnehmen lassen, was natürlich auch seine Zeit zum Verheilen braucht. Eigentlich hab ich nur zwei bis drei Wochen im Jahr wirklich frei. Im März und April sind die Weltmeisterschaften, dann habe ich etwas Luft wenn keine Olympiade ansteht, dann geht es weiter mit den Deutschen Meisterschaften und zum Winter hin der Weltcup. Von September letzten Jahres bis April habe ich in Vorbereitung auf Olympia in 180 Tagen alle Kontinente besucht, dementsprechend wenig war ich ziemlich selten zuhause.
Wir sind leider eine Wintersportart geworden, es ist deshalb untypisch, dass wir, wie in diesem Jahr, nach dem Sommer eine Pause machen können. Vor allem im letzten Jahr hatte sich alles um Olympia gedreht, dann braucht man erstmal etwas Erholung. Die körperlichen Reserven wurden durch das Training bis zum Letzten ausgereizt. Man schleppt eigentlich immer ein paar Verletzungen mit sich herum und irgendwann braucht der Körper einfach Ruhe.
Trotzdem: ohne Training geht es nicht?
Absolut. Es ist der Mix: Straßentraining, Krafttraining, Bahntraining. Wobei das Training auf der Straße immer weiter eine untergeordnete Rolle spielt und man mehr Zeit im Kraftraum verbringt. Das hat aber auch Nachteile; mal tut einem das Knie weh, mal der Rücken, was das Kraftraining natürlich vor allem dann einschränkt.
Du trainierst auf der Straße nur mit Freilauf?
Ja, ganz normal.
Wie ist der Übergang zwischen Freilauf und starrer Nabe für dich?
Wenn man ganz lange nichts gemacht hat setzt man sich schon auf das Bahnrad und es ist etwas komisch, aber ich höre dann natürlich nicht auf zu treten weil es über die Jahre hinweg einfach drin ist, da denke ich gar nicht mehr drüber nach, das geht von alleine.
Eine beliebte Frage: Wie viel Watt trittst du im Training?
Wenn ich aus dem Stand beschleunige trete ich schon maximal 2200 Watt, im Lauf bei 500 Metern dann um die 1000, mal mehr mal weniger. Hängt auch davon ab, auf welcher Bahn ich fahre und in welchem Zustand sie ist. An guten Tagen ist 1100 Watt die Regel. Im Grundlagentraining auf der Straße trete ich dauerhaft 140 bis 180 Watt, das ist für mich mein Zielbereich, je nach Tagesform.
Auf der Straße ist allerdings der Puls entscheidender, als Sprinter fährt man das Grundlagentraining, um die Anstrengungen auf der Bahn auszugleichen. Es gibt schon Phasen, in denen ich 3-4 Wochen auf der Straße Kilometer sammle, aber wenn ich so wie heute knapp 500 Meter Sprintintervalle fahre, brauche ich morgen drei Stunden eine lockere Runde, lang und langsam sagt der Sprinter. Bei uns geht es darum den Muskel „atmen“ zu lassen. Wenn ich merke, dass der Puls hoch geht, fahre ich halt langsamer. In dem Fall ist die Geschwindigkeit nicht ausschlaggebend. Immer unbedingt einen 30er Schnitt fahren zu wollen bringt nicht immer den gewünschten Effekt.
Wie kommt es, dass der Bahnradsport noch immer fast ausschließlich im Osten mit ostdeutschen Sportlern Erfolge feiert?
Natürlich auch durch das Sportinternat in Cottbus, wo man auf dem Internat zur Schule gehen, wohnen und nebenan auf der Radrennbahn trainieren kann, anders als zum Beispiel in Stuttgart, wo die Bahn 45 Minuten entfernt liegt. In Frankfurt/Oder ist es ähnlich, hier um die Ecke ist die Schule und die Mensa – davon profitiert man im Osten, weil es hier noch die alte Infrastruktur gibt, die in der DDR durch die Schulform etabliert wurde. Es gibt hier auch mehr Trainer. Im Landesverband gibt es, soweit ich weiss, zwei Trainer, hier in Brandenburg gibt es zehn. Da wird es schwer die Sportler ausserhalb dieser Region breit gefächert auszubilden.
Du bist früher auch den Kilo (1000m gegen die Zeit) gefahren, ist das für dich noch interessant?
In Zukunft vielleicht mal wieder, aber ich habe mich in jungen Jahren sehr verausgabt. Dadurch, dass es nicht mehr olympisch ist, ist der Trainingsaufwand einfach zu groß und zu unterschiedlich. Wenn ich nun Teamsprint, Sprint und Keirin fahre, kann ich nicht auch noch 1000 Meter gegen die Uhr fahren.
Bei diesen drei Disziplinen – Teamsprint, Sprint und Keirin – bleibt es für dich?
Mal sehen wie es sich entwickelt. In etwa einem Jahr wird herauskommen welche Disziplinen es in Rio 2016 geben wird, dementsprechend muss man sich im Team wieder anpassen.
Bedauerst du es, dass der Kilo nach Beijing wegfiel?
Naja, in jungen Jahren habe ich es gerne gemacht aber als klar wurde wie wenig es in Zukunft bedeutet, habe ich mich von Anfang an in eine andere Richtung entwickelt. Nur 1000 Meter im Kreis zu fahren ist auch ein bisschen langweilig, auch weil es schwer zu trainieren ist – man muss immer sich selbst schlagen. Sprint hingegen hat viel mehr mit Taktik zu tun. Beim Kilo heisst es nur Kopf runter und treten, was zwar Spass macht, man aber jedes Mal einen guten Teil seiner Gehirnzellen verliert. Es tut halt auch ordentlich weh.
Wie zufrieden bist du mit deinen Ergebnissen bei den Olympischen Spielen in diesem Sommer?
Wenn ich mich über die zwei Medaillen beschweren würde, wäre das Jammern auf hohem Niveau. Dennoch war es so, dass wir im Teamsprint um Gold fahren wollten, unser dritter Mann, Stefan Nimke, sich aber kurzfristig verletzt hat. Unter den Umständen war der dritte Platz schon eine super Leistung. Es war schon schade, da wir in der alten Formation Weltrekord gefahren sind. So ist nun mal der Sport, gerade im Teamsprint mit drei Leuten – wenn da einer wegfällt hat das große Konsequenzen. Es wäre sicher ein besseres Gefühl gewesen in der alten Formation Dritter zu werden und zu wissen: mehr geht nicht.
Wie haben dir die Olympischen Spiele als Athlet allgemein gefallen?
Ich muss sagen, das mir Beijing 2008 mehr gefallen hat. Die Spiele dort waren meiner Meinung nach besser organisiert und die Leute waren freundlicher. Ausserhalb des Dorfes hat man wenig davon mitgekriegt, dass gerade die Olympischen Spiele stattfinden. Zudem waren die Sicherheitskontrollen horrend. Es ist zwar schon so, dass man zwischen dem Ort wo du schläfst, wo du essen gehst und zwischen der Radrennbahn viel Laufen musst, und zwischen den Orten gibt es zudem jede Menge Sicherheitskontrollen, wo man auch immer in der Schlange steht. Dadurch ist man länger auf den Beinen als man eigentlich will. Die Abschlussfeier fand ich trotzdem beeindruckend!
Wie hast du die Stimmung im Velodrom empfunden? Die Englischen Fans sollen unglaublich laut gewesen sein…
Wir kennen das von Rennen in Großbritannien, dort hat das Bahnradfahren einen ganz anderen Stellenwert als hier, die Radfahrer sind dort Popstars. Mir hat es gefallen, es hat Spaß gemacht bei so einer Stimmung dort zu fahren. Das kenne ich sonst nur vom Berliner Sechstagerennen, aber sonst ist es hierzulande leider zu selten. Im Rennen selber nimmt man das nicht wahr, dort ist man zu sehr auf sich selbst fokussiert. Es kann aber auch ein Hinweis darauf sein, dass dein Gegner gerade anzieht wenn du vorne liegst – dann weisst du dass du jetzt flinke Füsse machen musst!
Spürst du vor den Rennen noch Druck? Wie gehst du damit um?
Den Stress mache ich mir natürlich selbst und meine Kontrahenten genauso. Die Kunst bei den Olympischen Spielen ist es, das auszublenden und ruhig zu bleiben. Im Grunde ist es ein Rennen wie alle anderen auch. Wenn man sich bei Olympia einredet, dass man es besonders gut machen muss, ist das eher kontraproduktiv. Entscheidend ist es, dass man es genau so machen muss wie im Training oder bei heimischen Rennen, man hatte schliesslich auch 3-4 Jahre Zeit herauszufinden, wie man es am Besten macht und kann eine gewisse Sicherheit entwickeln.
Gibt es eigentlich beim Aufwärmen in der Mitte des Velodroms vor den Rennen schon kleine taktische Sticheleien unter den Athleten?
Ja, schon. Es gibt natürlich auch Trainer die bei den Anderen gucken, bei den Aufwärmintervallen Zeit stoppen und aufgeregt kommentieren, wie gut der Gegner wieder drauf ist (lacht). Aber gerade bei Olympia ist ein fitter Gegner doch die Regel, da muss man ruhig bleiben und sich auf seine eigene gute Form verlassen. Auch durch den Umstand, dass es meine zweiten Olympischen Spiele waren, bin ich damit routinierter umgegangen.
Kann man Taktik auf der Bahn, zum Beispiel im Keirin, trainieren?
Absolut. Radrennen sind natürlich dafür das beste Training, so lernt man seinen Gegner kennen und kann sich selbst testen. Man kann sich die Videos von Gegnern ansehen, die einem zum Beispiel im Viertelfinale bevorstehen. Man trifft bei Olympia in der Regel auf keinen, gegen den man nicht schon einmal irgendwo angetreten ist, daher sehe ich mir genau an wie er fährt, wo seine Schwächen sind, wann man ihn überraschen kann – eine solche Vorbereitung gehört einfach dazu.

Foto: © Thomas Damm
Das letzte World Cup Rennen in Glasgow hat gezeigt, dass Deutschland derzeit das beste Team hinter Großbritannien stellt. Wie steht es hierzulande um den Nachwuchs?
Wir profitieren davon, dass wir viele junge Sprinter haben, dementsprechend wird man auch immer daran erinnert, dass man immer weiter an sich arbeiten muss, um das Niveau zu halten und seinen Platz zu verteidigen. Davon profitiert die gesamte Nationalmannschaft, weil die Jungen zeigen wollen was sie können und die Etablierten weiter gute Leistungen zeigen müssen. Für den Bundestrainer ist das optimal, er kann sich die Besten aussuchen, so lange die Auswahl noch da ist. In den Ausdauerdisziplinen [Omnium, Kilo] wandern die Besten allerdings eher in den Straßenradsport ab.
Wieso ist in Deutschland der Übergang zwischen Bahn und Straße nicht so fliessend wie in anderen Ländern, wo auch Bahnradfahrer noch auf der Straße unterwegs sind und anders herum?
Weil es kein richtiges System dahinter gibt. Es gibt als Ausdauersportler nur die Möglichkeit zur Bundeswehr oder zur Polizei zu gehen, um die Zeit und die finanzielle Sicherheit zu haben, sich auf seine anstehende Profikarriere zu konzentrieren. Jeder ist natürlich lieber ein zweitklassiger Straßenradfahrer, als ein guter Bahnradfahrer. Als Bahnradfahrer gibt es zu wenig Wettkämpfe, man verdient damit eigentlich kein Geld, das ist im Ausdauerbereich auf der Bahn genauso. Deshalb ist es lukrativer im Straßenradsport, wo man versuchen kann mittelfristig einen Vertrag zu bekommen und somit mehr Geld zu verdienen, als auf der Bahn. Der Verband tut meiner Meinung nach einfach nicht genug, um die guten Rennfahrer zu halten und sie dazu zu motivieren sich für die Bahn zu opfern.
Großbritannien hat bereits 1997 erkannt, dass man 16 Olympische Medaillen auf der Bahn gewinnen kann, mehr als in allen anderen Disziplinen, und deshalb frühzeitig Fördermittel in den Sport geleitet. Wieso erkennt Deutschland das nicht?
Der Verband sagt: „Wir fördern die Breite, nicht die Spitze“. Man sieht ja wie wir im Medaillenspiegel alle vier Jahre weiter absacken, der Verband will die Zeichen der Zeit aber leider nicht erkennen und denkt, er tut genug für den Sport. Mit allem was dazugehört, Trainerstellen, Kosten für die Bundeswehrausbildung, liegen wir bei 350 Millionen Euro im Jahr. Wenn man sieht was ein Flughafen und was eine Fehlplanung diesbezüglich kostet, hätte man davon locker acht Jahre Sport fördern können. Am Ende ist es bitter, wenn man sieht, was eigentlich möglich wäre. Eine Schlagzeile war vor kurzem: Die Sportforderung im kommenden Jahr wurde um vier Millionen Euro aufgestockt – eigentlich wollten sie die Förderung jedochum vier Millionen kürzen. Nun bleibt es beim alten Betrag, der uns als Aufstockung verkauft wird.
So wird es dann wohl weitergehen, 2016 werden die Resultate noch schlechter 2020 werden Leute entlassen. Wir befinden und im gesamtdeutschen Sport schon in der Krise. Das Gesamtschulsystem trägt auch dazu bei, dass die Jugendlichen kaum noch Zeit haben im Verein Sport zu machen. Leistungssportler hatten neben dem Beruf früher mehr Zeit sich zu entwickeln, weil viele Firmen ihnen die Freiräume liessen. Das gibt es leider nur noch ganz selten. Gerade Radsport ist eine sehr zeitintensive Sportart, fehlendes Training kann man da nicht mit etwas anderem kompensieren, bei anderen Sportarten klappt das besser.
Gibt es für Leistungssportler daher nur noch die Alternative zur Polizei oder zur Sportfördergruppe der Bundeswehr zu gehen?
Ich bin da ein Einzelfall: Ich habe eine Halbtagsstelle bei Vattenfall. Ich habe dort Industriekaufmann gelernt, weil ich diesen Weg über die Bundeswehr oder Polizei nicht gehen wollte. Das zahlt sich zwar aus wenn man mit dem aktiven Sport aufhören will, ist aber auch ein Risiko, weil man als Polizist mit dem Beamtenstatus eine bessere finanzielle Absicherung hat.
Du hast schon erwähnt, dass die Stimmung beim Sechstagerennen in Berlin sehr gut ist. Wie steht es sonst um euch als Radsportler in Deutschland, wirst du auf der Straße erkannt und angesprochen?
In meiner Heimatstadt Cottbus schon aber ansonsten eher nicht. In der deutschen Gesellschaft ist es leider so, dass der Sport an sich keinen hohen Stellenwert mehr geniesst. Es gucken alle immer nur Fussball. Nichts gegen Fussball, aber die Medienaufmerksamkeit würde uns und zum Beispiel den Turnern auch gut tun, auch um mehr Nachwuchs anzulocken.
Früher wurde, wenn die Fahrer nach der Friedensfahrt nach Hause kamen die Straße gesperrt und ein Empfang veranstaltet. Heute kommst du nach Hause und hörst nur: „Silber? Was warn los?!“ (lacht) Alle wollen eine Goldmedaillie zum Nulltarif, es steckt aber mehr dahinter, als man auf dem ersten Blick sieht.
Kommen dann wirklich solche Sprüche wenn du von Wettkämpfen ohne Goldmedaille wiederkommst?
Nicht unbedingt nach den Olympischen Spielen, aber bei anderen Rennen schon. 2010 hatte ich bei der Weltmeisterschaft Gold und Bronze geholt, 2011 dann „nur“ Silber. Ein gutes Resultat, auch weil ich mir drei Monate vorher das Schlüsselbein gebrochen hatte – woraufhin einige meinten: „Naja, Silber. Das nächste Mal dann aber besser!“. Die Ansprüche sind einfach zu hoch. Selbst der Innenminister hatte nach London die vielen Silber- und die wenigen Goldmedaillen des deutschen Kaders angesprochen. Unter diesen Bedingungen ist das aber alles was möglich ist. Der Britische Verband hatte in den letzten vier Jahren 34 Millionen Euro investiert, unser Verband hat einen jährlichen Etat von 2,5 Millionen Euro – für alles. Die Mentalität, gerade im Osten, dass uns harte Arbeit und Disziplin weiterbringt, hält uns hier sozusagen am Leben. Wir fahren mit Sicherheit auch die größten Umfänge, weil wir uns kaum trauen mal an Tempo rauszunehmen.
Gab es soweit du weisst über die Pressekonferenz hinweg, die du nach den Olympischen Spielen mit Fabian Hambüchen gehalten und Kritik am Deutschen Sportverband geäussert hattest, weitere Reaktionen und Konsequenzen?
(lacht). Naja. Die Presse hat mir leider ab und zu die Worte um Mund umgedreht. Es gab schon einen Aufschrei „Levy kritisiert Scharping“ und so weiter, aber wie gesagt: das Thema Sportförderung ist schon noch immer ein großes Thema in den Medien, aber von Seiten des Verbands selbst hält man sich mit Änderungsvorschlägen lieber zurück. Jeder klebt an seinem Posten, so kann keine Veränderung stattfinden.
Es sind ja auch schon deutsche Trainer und Athleten ins Ausland gegangen…
Das ist in jeder Sportart hierzulande ein Problem. Der ehemalige Cheftrainer des Leichtathletikverbands geht nun in die Schweiz. Ich kann das verstehen, der Posten als Sporttrainer in Deutschland ist schlecht bezahlt und undankbar, man ist zudem noch der Psychologe und Berater der Sportler, man muss sich bei jüngeren Sportlern mit der Schule auseinandersetzen, Arbeiten am Wochenende, Wettkampfreisen und so weiter – es ist mehr als ein Full-time Job. Man hat hier auch kaum Möglichkeiten sich zu entwickeln und neue Dinge auszuprobieren, wenn man also die Möglichkeit hat wo anders hinzugehen, warum nicht?
Was sagst du dazu, dass Phillip Hindes als Bahnradsportler mit doppelter Staatsbürgerschaft nach Großbritannien ging und dort in der Mannschatfsverfolgung startete und Gold gewann?
Naja, er hat vom deutschen System profitiert, hat viele Sachen gesehen und – ich sage mal – mitgenommen, nicht geklaut. Daher verstehe ich nicht, wie der DOSB ihm erlauben konnte bei Olympia an den Start zu gehen, eigentlich ist er in diesem Fall für die nächsten Olympischen Spiele gesperrt. Nun wurde er Olympiasieger und darauf angesprochen meinte der DOSB-Chef Michael Vesper zu mir: „Na du glaubst ja jetzt nicht, dass die deswegen Olympiasieger geworden sind.“ Im Grunde ist es aber so: er hat den Platz ausgefüllt, der ihnen im Mannschaftssprint gefehlt hat. Was soll ich dazu sagen? Dann braucht sich vom Verband auch keiner beschweren, dass wir nur Bronze geholt haben.
Verfolgst du auch den Straßenradsport?
Na klar, ich wollte auch mal die Tour de France fahren als ich klein war. (lacht) Ja, da bin ich im Thema.
Spürst du auch negativen Auswirkungen des Straßenradsports auf den Bahnradsport hier in Deutschland?
Es unterscheidet hier kaum jemand, für viele ist ein Straßenrad- und Bahnradsportler ein und das selbe. Wenn etwas im Straßenradsport passiert sagt keiner: „Ach guck mal, der Levy ist ja BAHNradsportler“, auch weil die Medien dies selten tun. Optimal wäre es wenn die Medien gucken, was es neben dem Straßenradsport noch so gibt. Beim Weltcup in Glasgow haben wir sechs Siege geholt, das hat es seit Ewigkeiten nicht gegeben. Ich hatte Abends ARD und ZDF eingeschaltet und es wurde darüber nicht berichtet, auch nicht auf Eurosport. Auch der Weltverband hat zum Problem beigetragen, indem sie unsere wichtigsten Wettkämpfe in den Winter verlegt haben, wo wir bei Fernsehübertragungen mit den offensichtlicheren Wintersportarten wie Biathlon und Skispringen konkurrieren.
Was wünscht du dir also für die Zukunft?
Ganz klar: dass ich gesund bleibe und weiterhin Spaß beim Radfahren habe. Sobald ich merke, dass es keinen Spaß mehr macht und ich nicht mehr darin aufgehe – unabhängig davon was in der Zeitung steht und was mit dem Verband passiert – wäre das der Punkt an dem ich nach Hause gehe. Das oberste Ziel ist es mir das zu bewahren und alles andere muss ich nehmen wie es kommt. Wenn ich Trainingsfahrten mache und mir von 15-jährigen „Ey du Doper“ hinterhergerufen wird, denke ich schon manchmal: dafür musst du das nicht tun, aber am Ende mache ich es ja für mich und muss niemand anderem dabei etwas beweisen. Und es macht mir definitiv noch Spaß, ich verdiene genug Geld, dass ich davon leben kann und bin gerne nach der langen Pause wieder aufs Rad gestiegen.
Auch wenn ich aktiv ein reiner Straßenradfahrer bin, ist Levy für mich eines der besten Aushängeschilder die der Deutsche Radsport hat und haben kann.
Auch Sportarten übergreifend ist es wichtig Sportler zu haben, die nicht nur durch permanent gute Leistung glänzen, sondern auch die richtigen Worte, in Richtung Sportpolitik in Deutschland wählen können.
Worte die offen und direkt sind und Misstände aufzeigen aber dennoch nicht unter die Gürtelliene gehen oder zu sehr nach Jammern auf hohen Niveau klingen.
Unser Hauptproblem in Deutschland ist sehr oft einfach König Fußball.
Alle anderen Sportarten dürfen daneben nur dann existieren oder sogar wachsen, wenn Sie auch nicht nur die kleinste Konkurrenz für die TV oder Medienaufmerksamkeit sind.
Danke für dein Feedback Eric.
Ich habe ihn auch als ehrlichen, offenen Menschen erlebt. Einer, der seinen Sport liebt und ihn gerne besser repräsentiert sehen würde.
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