Die erste Etappe, der Prolog der Tour de France 2005 ist es aus mehreren Gründen würdig in den Rückblick aufgenommen zu werden. Es sollte Lance’s letzte Tour werden, zumindest hatte er das bis zum Jahr 2009, als er vom Rücktritt zurücktrat, so geplant. Die ganze Radsportwelt war gespannt und fragte sich, ob er es zum siebten Mal schafft die große Rundfahrt zu dominieren. Vielleicht greift ja endlich Ulle wieder an? Oder ein Anderer tritt aus seinem Schatten hervor?
Lance geht in Rente
Bereits Monate im Voraus kündigte Lance Armstrong an, dass diese Tour de France seine letzte sein sollte. Der Amerikaner beendete nach 13 Jahren als Profi seine Karriere und wollte auch diesmal das Gelbe Trikot nach Paris fahren. Seine bis dahin sechs Toursiege in Folge waren seit jeher einzigartig; Lance machte die Jahre 1999 bis 2004 zu seiner Ära und dominierte mit seinem Team US Postal und später mit Discovery Channel jedes Jahr den Rennverlauf der Tour de France. Andere große Rundfahrten waren für ihn nur Training, weshalb er pünktlich zur „großen Schleife“ fit war und sich das gesamte Jahr über nur ernsthaft auf dieses Event vorbereitete. Seine letzte Tour machte er laut eigener Aussage „zum Spaß“.
Diese Lance-Jahre waren, bis auf einzelne Ausnahmen (allen voran natürlich die Duelle mit Jan Ullrich oder Lance’s Ausflug über französische Äcker) gerade wegen seiner Dominanz relativ öde. Vieles wiederholte sich: am Ende zerschmetterte er jedes Mal die Hoffnung seiner Gegner in den Bergen. Er kletterte mit Leichtigkeit über die Alpen, dann auf das Siegerpodest am Champs-Élysées und kündigte an, genau dort nächstes Jahr auch wieder stehen zu wollen. Und so kam es auch.
Lance Armstrong nahm seine Motivation aus dem zumindest zeitweiligen Hass auf seine Kontrahenten auf dem Rad. Sein riesiges Ego, welches ihn bei vielen Europäern sehr unbeliebt machte, war zumindest teilweise begründet; kaum jemand steckte mehr Ressourcen in sein Training und arbeitete das ganze Jahr über härter und zielstrebiger an seiner Form als er. Seine mentale Kraft und Leidensfähigkeit nahm er aus der Krebserkrankung, welche ihn Mitte der 90er fast seine Karriere und sein Leben gekostet hätte.
Die Frage war also: schafft Armstrong es noch ein letztes Mal den Toursieg zu holen oder brachte das letzte Profijahr, wie vielen anderen Radfahrern zuvor, auch ihm Unglück?
Der Prolog
Begonnen hatte diese 92. Tour de France mit einem Einzelzeitfahren über 19 Kilometer in Fromentine im westen Frankreichs. Um 15:40 begannen die Fahrer nacheinander im 1 bis 3 Minuten-Takt die Startrampe zu verlassen. Die Aufstellung wird im Voraus von der Rennleitung und den Teamchefs anhand der Vorjahresergebnisse bestimmt, der letztjährige Sieger startet als Letztes.
Bereits um 15:58 startete David Zabriskie seine Runde. Der 26-jährige Amerikaner aus dem dänischen Team CSC fuhr seine erste Tour de France, war im Zeitfahren allerdings nicht zu unterschätzen; er gewann das Einzelzeitfahren der diesjährigen Giro d’Italia und war ausserdem amtierender amerikanischer Zeitfahrmeister. Seine Rolle bei der Tour war es, Teamkapitän Ivan Basso als Domestike ins Gelbe Trikot zu helfen.

Dave Zabriskie im Jahr 2005 – Foto: fsteele770 (Flickr) CC-BY-NC-SA
Dave Zabriskie stammt aus Utah und wohnte bis zum Jahr 2010 in Salt Lake City, wo er auch seine Kindheit verbachte. Am liebsten, so Zabriskie, fuhr er als Kind auf dem Parkplatz vor der Kirche auf seinen Rollerblades und hörte dazu Musicals wie West Side Story – bis er sich eines Tages den Arm brach und dazu überging, seine überschüssige Energie auf einem Mountainbike loszuwerden. Nach eigener Aussage spielte der coming of age-Kultfilm „Breaking Away“ von 1979 eine große Rolle in seiner späteren Entscheidung, doch lieber auf ein Rennrad umzusteigen. Fortan fuhr er kleinere Gruppenrennen und wurde 1997, mit 18 Jahren, überraschend vierter bei den nationalen Junior-Zeitfahrmeisterschaften, welche er dann im Jahr 2000 auch gewann.
Im Jahr 2001 wurde er Profi im Team US Postal und fuhr 4 Jahre zusammen mit Lance Armstrong im selben Team. Mit seinem Wechsel zu CSC im Jahr 2005 gelang es ihm, eine Unfallserie hinter sich zu bringen und sich als Kandidat für größere Rundfahrten zu qualifizieren. Teamchef Bjarne Riis hatte viel Vertrauen in ihn und mit seinem Sieg bei der Giro auch für die Tour de France nominiert.
Wie sich herausstellte war es die richtige Entscheidung: David Zabriskie beendete den Prolog mit 20:51:840 Minuten und fuhr zudem das schnellste Einzelzeitfahren der Geschichte der Tour mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 54,676 km/h. Um ca. 16:30 saß er also bereits wieder im Tourbus, selbst überrascht von dieser hervorragenden Zeit und sah nun per Liveübertragung den anderen Fahrern dabei zu, wie sie alle weit über seiner Zeit im Ziel eintrafen. Die stärksten Zeitfahrer im Peloton sollten erst in über zwei Stunden folgen: Jan Ullrich und zuletzt Lance Armstrong.
Als Lance Armstrong dann auf halber Strecke den eine Minute vor ihm gestarteten Jan Ullrich überholte war klar, dass dieser nicht um die vorderen Plätze mitfuhr. Am Vortag war Ulle beim Training in ein scharf bremsendes T-Mobile Teamauto gerast und fand sich daraufhin mitsamt zerschmetterter Heckscheibe im Kofferraum wieder. Er zog sich jedoch nur eine 5 cm lange Schnittwunde am Hals zu. Nach dem Rennen behauptete Ullrich, er hätte sich eigentlich sehr gut gefühlt und sei „voll gefahren“.
Ulle’s Teamkollege Alexandre Vinokurov schob sich auf den zweiten Rang, mit 54 Sekunden Rückstand. Lance hatte beim letzten Zwischenergebnis 3 Sekunden Vorsprung auf Zabriskie.
Über 2 Stunden und 45 Minuten verfolgte Dave Zabriskie bereits das Rennen; als Lance ins Ziel einfuhr fiel im Tourbus von CSC der Fernseher aus. Anhand des Jubels um ihn herum erkannte er, dass er die Etappe gewonnen hatte – am Ende schlug er Lance um zwei Sekunden und gewann das gelbe Trikot bei seiner ersten Tour de France.
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